Die Frau als
Schöpferin und Erhalterin des Volkstums
Wenn
man als Frau dieses Thema gestellt bekommt, so
hat man das Gefühl, es sei unnötig, darüber zu
sprechen; es sei so unnötig, als wenn man vom
Wasser reden wolle, daß es fließe, und vom
Licht, daß es leuchte. So selbstverständlich
sieht man sich als Frau inmitten dieser Aufgabe.
Ja, man könnte sagen, das Maß der Treue zum
Volkstum sei das Wertmaß für die Frau
schlechthin.Unter Volkstum verstehen wir das aus
einer gemeinsamen Wurzel entstandene Leben in
der Gesamtheit seiner Äußerungen. Wir können
auch sagen: Volkstum ist die Selbstdarstellung
eines Volkes, die Darstellung und Offenbarung
seiner gemeinsamen Freuden und Leiden, seiner
Hoffnungen und Ängste, seiner Trieb- und
Willenskräfte, kurz die gemeinsame Gebärde
seines Lebens. Wenn wir von Volk und Volkstum
sprechen, so müssen wir dort beginnen, wo sein
Ursprung ist.
Unendlich
in Zeit und Raum wirken die Lebensgesetze eines
Volkes, bestimmt und geformt durch das gleiche
Blut. Sie wirken von Generation zu Generation,
so daß es scheinen könnte, daß diese Formen der
völkischen Lebensäußerungen starr seien, und daß
die jeweiligen Geschlechter eben nur als ihre
Träger aufzutreten hüten. Gewiß gibt es nichts
Festeres als diese lebendigen Gesetze - mögen
sie ewig ungeschrieben sein! - Gewiß gibt es
nichts Bestimmteres als diese Formen, in denen
ein Volk sich erlebt. Man braucht nur den
heiligen Ernst zu sehen, mit dem die Kinder
schon in den ersten Lebensjahren die auf sie
Überkommenen Bräuche und Handlungen aufnehmen
und vollziehen. Da ist nichts Gekünsteltes,
sondern Gewachsenes. Darum gerade darf man hier
bei allem Stetigen dennoch nicht von Starrheit
sprechen, denn die Sitten und Forderungen, die
sich an bestimmte Tage und ihre Feiern knüpfen,
sind durchblutet von dem lebendigen Strom, der
aus Urtiefen aufsteigt, alt, uralt, und der doch
ewig neu ist, ewig jung. Das gilt nicht nur von
den Festen und Feiern der Kinder, sondern von
all jenen Volksschichten, die wie die Kinder
elementar sind: von den Bauern und Arbeitern. Zu
ihnen kommt die Frau, die ebenfalls vom Instinkt
her den Urtrieb ihres Lebens und Handelns
empfängt. Den Anfang bestimmter Bräuche und
Sitten weiß keiner. Er ruht im Sippenbeginn, und
damit in einer Nebelferne, die von keiner
Geschichte erhellt wird, denn soweit Geschichte
reicht, sind bestimmte Formen schon da, und
diese Formen haben ihre Gültigkeit schon in der
Gemeinschaft.
Wir können aber nicht von der Gemeinschaft und
vom Volke reden ohne seine Mütter. Von dem
Weltbezwinger Alexander ist uns überliefert, daß
er einst in einer Straße einer schwangeren Frau
begegnete und daß er ihr auswich, damit sie frei
ihren Weg habe. So stark und ins Allgemeine
wirkend war dieser Vorgang, daß er aufbewahrt
wurde neben seinen großen Taten und seinem
gewaltigen Kriegsruhm.
Goethe spricht von jenem Ort, an dem die Mütter
wohnen. Er läßt den suchenden Faust, der den
letzten und tiefsten Rätseln nachsinnt, zu den
Müttern gehen, dorthin, ins Unbetretene, nicht
zu Betretende". In Einsamkeiten, wo man den
Schritt nicht hört, den man tut, dort läßt er
die Mütter wohnen. Wo die Göttinnen ihren Thron
haben, dort wähnt er sie.
Unsere Vorfahren, die Germanen, schufen in ihrer
hohen Ehrfurcht vor der Frau, der Mutter der
Sippe, die Nornen, jene Gestalten der mythischen
Frauen, in deren Händen die Schicksale ruhten,
in deren Wissen die Zukunft war. Und selbst den
höchsten Gott, den Rätsellöser Odin, hießen sie
zur Norne gehen, damit er die Zukunft der Welt,
der Götter und Menschen erfrage.
Diese hohe Ehrfurcht vor dem Wesen der Frau und
Mutter wurde gebrochen durch mittelländische und
orientalische Einflüsse, die bei uns Fuß faßten,
und die in der Frau nicht mehr jenes Wesen sahen
wie die Germanen, jenes Wesen, das mehr als
irgendein anderes im Dienst des Schöpfers steht,
sondern ein nur dem Manne verpflichtetes
Eigentum. Der Dienst der Frau, der für uns
höchster Dienst am Leben ist, wurde mit der
Sünde in Verbindung gebracht. Das Leiden der
Mutter um das Kind, das für uns das
Ergreifendste ist, das es gibt, das wir erkennen
und deuten als tiefste Weisheit des Schöpfers,
als Mittel, durch das er die Mutter erst ganz
liebesbereit und opferbereit macht bis ans Ende
- denn ganz liebt man nur, wenn man um das
Geliebte litt - dieses Leiden der Mutter wurde
als Strafe für eine Sünde, als Folge für die
Ursünde gedeutet. Damit nahm man dem Schmerz der
Mutter seine heilige Bestimmung, man nahm ihm
seine Weihe, und der Dienst der Mutter am Leben
sank in die Sphäre der Unreinheit, die Mutter
selber sank. Das Kind, das sie zur Welt brachte,
war von der Sünde gezeichnet.
Niemals wäre diese Anschauung im germanischen
Weltbilde entstanden. Hier war die Frau
gleichwertig, wenn auch andersartig, neben dem
Mann. Er war der Herr, sie war die Herrin des
Hauses. Und das Kind mit der Sünde in Verbindung
zu bringen wäre unmöglich gewesen.
Verehrungswürdig war die Frau und Mutter dem
Mann - vorausgesetzt, daß sie es in sich war.
Daß sie dem Mann im Hause diente, daß sie den
Kindern diente, hat sie in den Augen des
germanischen Mannes nie erniedrigt. Diente er
seiner Hausfrau etwa nicht, und diente er den
Kindern nicht, indem er die Waffe für sie führte
und ihnen Brot schuf? Die Ehre der Frau aber war
seine Ehre.
Es ist die Anschauung, die man heute noch auf
guten Bauernhöfen findet, auf denen sich das
germanische Lebensgefühl ungebrochen erhalten
hat, trotz südlicher und orientalischer
Einflüsse. Wenn man auf solch einem Hofe hört,
wie Knecht und Magd einfach von „der Frau"
reden, so klingt der alte hohe Glaube an die
Herrin noch in dem Wort nach bis in unsern Tag.
Und wie sollte der Bauer leben und sein Werk tun
können, wenn er nicht die Ehrfurcht vor dem
Göttlichen empfände und in sich trüge, und wo
sollte sich ihm das Göttliche mehr nähern als in
dem, was sich durch seine Frau, die Mutter
seiner Kinder, vollzieht, in der Schöpfung des
Lebens. Das ist die Erfüllung des göttlichen
Willens unmittelbar, des Willens zum ewigen
Leben aus der Zeit in die Unendlichkeit hinein.
Das ist der Dienst aller Mütter in allen Völkern
und zu allen Zeiten. Herrlich ist er, groß und
erhaben. Kein anderer Dienst steht so auf der
Schwelle zwischen Zeit und Ewigkeit, kein
anderer darf so vermitteln zwischen Zeit und
Ewigkeit.
Wenn aber der Dichter den Ort, an dem die
Mütter wohnen, das Nichtzubetretende nennt, so
mag wohl jeder Mensch, der sich ihm naht,
erschauern und in Ehrfurcht stille werden.
Beugen mag er sich vor dem Geheimnis, das der
Schöpfer in seiner Weisheit als schützende Hülle
um jede neue Schöpfung legte. Selbst die Mütter
wissen nur dunkel um das Wunder, das an ihnen
geschieht. Aber sie dürfen ihm dienen mit dem
ganzen Dienmut, den wir heute Demut nennen. Nur
so haben sie teil an der Schöpfung.
Wie aber sollen wir das Ewige fassen, zu dem uns
die Mütter Brücke sind? Da wächst nun der
Dichtung ihre Aufgabe zu. Kein Motiv ist öfters
und mit mehr Hingabe vom Dichter und Künstler
aufgegriffen und gestaltet worden als eben
dasjenige der Mutter mit dem Kinde. Hier spricht
sich die unserm Volke innewohnende Ehrfurcht vor
dem Muttertum aus. Man mag sagen, daß der
Madonnenkult der christlichen Kirche die Ursache
und die Veranlassung dieser Darstellung sei. Es
dürfte keinen unter uns geben, der die
Großartigkeit und die Fruchtbarkeit dieses
Kultes für das Leben leugnen wollte. Vergessen
wir aber nicht, daß der Madonnenkult eine rein
abendländische Sache ist und nicht aus dem
Orient zu uns kam. Im Gegenteil, man könnte
annehmen, daß sich der abendländische Mensch
diesen Kult schuf, um die Ehre der Frau, die auf
eine tiefere Ebene niedersank, nämlich auf die
Ebene der jüdischen Frau, die alle Geburt mit
der Unreinheit und Sünde in Verbindung bringt,
wieder emporzuheben. Nun hat das Christentum das
Dogma der Erbsünde festgehalten. Alle Frauen von
der Sünde zu lösen und alle Geburt von ihr zu
befreiten, hat man nicht vermocht. Also befreite
man die eine Frau, Maria, von der sündhaften
Empfängnis und häufte auf diese eine alle
Verehrung, die nun einmal tief im germanischen
und abendländischen Menschen vorhanden ist.
Diese eine Frau erhob man in die nächste Nähe
Gottes.
Nun ist es zu sehen, daß der germanische Mensch
aus seiner Art heraus die Verehrung der Madonna
immer wieder auszuweiten und auszudeuten
versuchte auf die Frau und Mutter überhaupt.
Gerade unsere deutschesten Meister, wie Albrecht
Dürer, Schongauer, Riemenschneider, Rembrandt,
und mit ihm viele Niederländer sind diesen
gegangen, und es war das Wesensgefühl des
eigenen Lebens, das sie auf diesen Weg wies. So
schuf Dürer seine deutsche Mutter im Marienleben
oder im Heckenwinkel. Es ist die Mutter unseres
Volkes. Es könnte die Mutter eines jeden
deutschen Menschen sein, und man denkt sicher
nicht falsch, wenn man annimmt, daß die Künstler
der eigenen Mutter oder der Mutter ihrer Kinder
im Werk gedachten.
Nun steht die Frau aber niemals handelnd im
Mittelpunkt dieser Verehrung, sondern sie läßt
sie an sich geschehen, wie sie alles an sich
geschehen läßt. Eine tiefe Unbewußtheit ist um
alle Mutterschaft gelegt. Damit hat diese den
größten Schutz bekommen, der ihr gegeben werden
konnte, denn nur in der Unbewußtheit kann jene
elementare Kraft wirken, die das Leben braucht,
um zu bestehen. Allzubewußte Zeiten sind
lebensfeindlich. Sie zerstören sich selber,
vernichten sich sehenden Auges. Hierher gehört
auch das große Spiel der Geschlechter, das ja
Vorspiel zu dem größeren anderen ist. Was wäre
das erste ohne die Krönung durch das zweite? Wo
wäre sein Sinn? Die Ganzheit des
Liebeserlebnisses, welche die jungen Menschen
erfüllt, löst sich hernach bei der Frau nicht
auf. Sie wandelt sich nur dem neuen Wesen zu,
das sie ins Leben trägt, aber sie bleibt
elementar, vom Gefühl her bestimmt, nicht vom
Verstande. Würde das Leben vom Verstande
abhängig, es würde untergehen. Der Verstand ist
nicht lebenschaffend, sondern lebenordnend. Der
Verstand trennt, teilt, unterscheidet, gliedert,
zergliedert.
Diese Gebundenheit der Frau muß man bedenken,
wenn man ihr selber und ihrem Tun gerecht werden
will. Da der eigentliche Dienst, den die Frau zu
leisten hat, sie völlig bindet, kann ihr nicht
viel Kraft bleiben für anderes, und so wird
draußen nur wenig von ihrem Leben sichtbar. Ich
bin in diesen Jahren oft gefragt worden: warum
haben wir Frauen heute kein Vorbild, das uns so
sichtbar unser Ideal vorlebt, wie es die Männer
im Führer haben? Darauf gibt es nur eine
Antwort: Die Frau kann ihr eigentliches Leben
niemals sichtbar vor allen andern Augen leben,
niemals kann sie ihr Leben und Erleben der
Öffentlichkeit preisgeben, so wie es der Mann in
seinem Werk täglich tut. Das Leben der Frau, ihr
tiefstes Leben, ihr Schöpferdienst - so muß man
es im unmittelbaren Sinne nennen - deckt ewig
der Schleier. Was an die Außenwelt dringt, ist
der Teil ihres Tuns und Lebens, der die
Öffentlichkeit verträgt, und der Teil hat irgend
etwas mit der Art des Mannes zu tun, auch wenn
er im Bereich fraulicher Pflichten liegt.
Diejenigen aus ihren Reihen aber, denen es
gegeben ist, in Dichtung und Kunst das Leben zu
deuten, sie werden Bilder und Sinnbilder
aufstellen von der Frau. Sie werden in der
Dichtung das aufzeigen, was in der Wirklichkeit
sich hinter verschlossenen Türen vollzieht, sie
werden in der Dichtung das Leben der Frau und
Mutter verklären und ihr selber erst in seiner
ganzen Hoheit zeigen. An den so geschaffenen
Gestalten kann nun die Mutter ihr Maß nehmen und
sich selber überprüfen, ob sie recht diente.
Hier muß ich einige Worte über die schöpferische
Frau sagen, die Frau, die berufen ist, das
Unsagbare auszusagen. Wir wollen unseren Blick
einmal zurückwenden auf eine jüngst vergangene
und vergleichen in dieser Zeit das dichterische
Schaffen des Mannes mit dem unserer Frauen. Es
war die Zeit der Fäulnis und der Verderbtheit
unseres Kulturlebens durch fremdrassige Kunst
und Literatur. Es war eine Zeit der Verfälschung
aller Werte, eine Zeit, in der das Heldentum des
Mannes als Dummheit bezeichnet wurde, und in der
die Mutter verlacht wurde, die noch die
Beschwernis vieler Kinder auf sich nahm. Es war
die Zeit, in der die Dirne als Romanheldin mehr
wert war als die Frau, die Mutter, es war die
Zeit, in der die Frau einzig ihren Wert hatte,
solange sie den Mann als Geschlechtspartner
reizen konnte. War das vorüber, dann galt ihr
Dasein schon mehr eine lächerliche
Angelegenheit. Wer sprach damals von der Mutter?
Wer von der Bäuerin? Dem Bauern? Wer sprach von
der ganzen elementaren Volksschicht? O ja, man
sprach schon davon, aber man machte den Arbeiter
zum Proleten, den Bauern zum Tölpel.
Auch in dieser Zeit sind Bücher entstanden von
einer Reinheit und Wahrhaftigkeit des Lebens,
erfüllt von Ehrfurcht. Es waren Männer da,
welche die Würde des deutschen Wesens
hochhielten. Das aber dürfen wir Frauen uns zur
Ehre anrechnen, daß unsere Dichterinnen nicht
teilhatten an der Verseuchung. Eine Agnes
Miegel, eine Lulu v. Strauß und Torney, eine Ina
Seidel u. a. haben in den Jahren ihre Hauptwerke
geschaffen, und diese Werke stehen so wesenhaft
im lebendigen Acker des Volkes, als hätte es nie
eine Zeit der Seuche gegeben.
Warum war das möglich? Die Antwort ist oben
schon gegeben. Weil die Frau elementar ist, weil
sie berufen ist, Leben zu geben, und ihr Ziel
ist das gesunde Leben, weil sie naturnotwendig
nicht Zerklüftung des Lebens, sondern seine
Gebundenheit wollen muß, darum mußte sie zu
aller Zeit auf der ihr angewiesenen Ebene
bleiben und ihr Werk tun. In der Gebundenheit
ihres Wesens ans Leben selber liegt auch das
Gesetz ihres Schaffens, liegt die feste
unwandelbare Richtung ihres Strebens. Die Droste
könnte heute ihre Gedichte schreiben, sie
brauchte sie nicht zu ändern, sie würden heute
wie damals ihren Glanz haben. Ja, es scheint,
als steige erst heute ihr Stern zu voller Höhe
auf. Auch die Karschin würde heute wie ehedem
Heldentum und Natur besingen, sie würde ihre
Harfe nicht neu zu stimmen brauchen. In dieser
Lebensgebundenheit auch liegt es, daß sich die
Frau so gut wie gar nicht an den jeweils
hervorbrechenden Modeströmungen in der Kunst
beteiligt hat, und daß ihr die vielen heute
überwundenen Ismen völlig gleichgültig geblieben
sind. Sie konnte und kann sich nicht dahin
wandeln, ist sie doch dem ewiggleichen ruhigen
Strom anheimgegeben, der aus dem Geheimnis der
Gottheit kommt und wieder in ihr mündet.
Soviel von der schöpferischen Arbeit und dem
schöpferischen Leben der Frau, die in der
Dichtung und Kunst an der Seite des Mannes ihr
Werk tut. Hier kann es sich immer nur um
Einzelberufungen handeln.
Es gibt aber noch eine andere schöpferische
Tätigkeit, sie ist namenlos und wird ausgeübt in
der Stille des Hauses. Ich meine die schönste
Pflicht und die beglückendste Arbeit, von der
Mutter ausgeübt, die das Kind sprechen lehrt. In
langer stiller Geduld wird die kleine
Menschenseele aus der Dumpfheit, aus dem
Schlummer aufgeweckt. Das erste kleine Licht des
Geistes wird angezündet. Es gibt keinen
schöneren Augenblick zu erleben als den, in
welchem nach langen Wiederholungen die gelallten
Laute plötzlich einen Sinn verraten. Das Tor
der Seele ist aufgesprungen. Nur ein kleiner
Spalt ist es, aus dem es leuchtet, aber der
Spalt wächst von Tag zu Tag. Ein weiter Weg ist
es, bis aus dem Stammeln das Wort geboren wird,
aber es ist wahrhaftig Schöpfung. Und sie geht
auch als Schöpfung vor sich. Es ist oft, als sei
mit der Geburt des Kindes die Gabe einer neuen
Sprache über die junge Mutter gekommen, denn wie
anders könnte sie den Reichtum der liebenden,
tosenden, tröstenden, aufmunternden Worte und
Lieder gefunden haben, Worte und Lieder, die
keine Feder aufzeichnet, und die doch immer neu
entstehen? Es ist nicht abzuschätzen, was an
Bildern, Sprachbildern, Geschichten
wechselseitig durch Mutter und Kind geschaffen
wird, wenn sie ihre Zwiegespräche führen.
Wir dürfen es daher als recht ansehen, wenn das
Volk seine Sprache der Mutter zueignet, wenn es
sie Muttersprache nennt. Darin liegt eine hohe
Ehre für die Frau und ein Dank des ganzen Volkes
an sie. Man kann damit den Dank vergleichen, den
das Volk dem Manne zuerkennt, wenn es seine
Erde, sein Land Vaterland nennt, denn für den
Lebensraum hat der Mann einzustehen mit seinem
Leben. Die Sprache aber schenkt die Mutter dem
Volke.
Hier verwischen sich nun die Grenzen zwischen
der schöpferischen und der erhaltenden Tätigkeit
der Frau im Volke, so wie sie überhaupt an
keinem Punkte scharf getrennt sind. Wenn die
Frau berufen ist, Leben zu schenken, so schließt
das in sich, daß sie es zu erhalten bestrebt
sein muß, anders würde alle Geburt ihren Sinn
verlieren. So ist es natürlich, daß die Frau dem
Manne die Kriegswaffe überläßt, daß sie, statt
zu töten, das Amt der Wundpflege auf sich nimmt.
Das schließt keineswegs aus, daß die Frau und
Mutter, die Notwendigkeit des Opfertodes
begreifend, den Mann von sich ziehen läßt, daß
sie den Sohn hingibt, und daß sie alles Leid auf
sich nimmt, das Leid, das in seiner langen Dauer
oft schwerer ist als die kurze Not des Sterbens.
Unter Leben verstehen wir nicht nur das Dasein
als solches. Hinzu treten alle Funktionen
desselben, die Gesamtheit des Kräftespiels. Auch
da strebt die Frau naturnotwendig ins einmal
Erreichte, sie wünscht es dauernd. Dem Mann ist
es auferlegt, ins Unbekannte vorzustoßen, neue
Erkenntnisse einzuholen, neue Formen und
Bedingungen zu erkämpfen, um das Bestehende, das
Schongewordene zu verbessern. Was er in seinem
Streben erreichte, nimmt die Frau in ihre Hand
und macht es einfach. Sie setzt es um in
Lebensgut, mit dem sie Kind und Haus führt.
Man merkt bald an dem jungen Menschen, der aus
dem Hause ins Draußen den Schritt wagt, ob die
Mutter jene Forderung zu erfüllen vermocht hat.
Man merkt, ob der Junge oder das Mädel eine
erstgeprägte Form aus dem Hause mitbringt. Man
merkt die „Kinderstube", so sagt man und erkennt
dahinter das erzieherische Wirken der Mutter.
Was sie an dem Kinde geformt hat, ist
unzerstörbar, und alle spätere Formung wird
von dieser ersten irgendwie durchstrahlt oder
verdunkelt.
Mit welchen Mitteln vermag die Frau ihre Aufgabe
zu erfüllen?
Hier müssen wir unterscheiden zwischen der Frau
auf dem Lande und der Stadtfrau. Für die erstere
stehen zur Verfügung: Haus und Hof, Garten, Feld
und Wald, Nachbarschaft mit all dem, was diese
in sich beschließen. Es ist nicht schwer, mit
Hilfe oder an Hand dieser Dinge Überkommenes zu
pflegen und zu erhalten, denn das Wesen dieser
Welt im einzelnen wie im allgemeinen strebt nach
Bestand. Jedes von ihnen führt ein Eigenleben
und steht in Wechselbeziehung zur Familie. Der
Bauer mit allem, was er ist und hat, steht
inmitten dieser Welt. Er hat ihr Lebensgesetz
und ist lebensnah, erdnah wie sie. Seine Arbeit
ist unveränderlich und seine Aufgabe ist ewig.
Die Form der Arbeit mag sich ändern, je nach dem
Fortschritt der Technik; das Wesen bleibt. So
kommt es, daß die Spanne zwischen dem Bauern und
der Bäuerin viel geringer ist als z. B. die
zwischen einem Arbeiter in der Stadt und dessen
Frau. Bauer und Bäuerin wirken an einem Werk,
nicht so der Arbeiter und die Frau.
Daß nun das Land und seine Menschen allen
Neuerungen abhold sind, hat man vielleicht als
Beschränktkeit ausgelegt, oft auch als
Eigensinn. Beides ist falsch. Alles Gewachsene
will Dauer, will sie mit allen Mitteln. Das ist
zu sehen auf dem Lande in allen Bereichen des
Lebens, mag man an Wohnung, an Kleidung, an die
Geräte und Dinge des Tages denken, an die
Arbeitsweise, an die Art, Feste zu feiern, Feste
in der Familie oder in der Gemeinschaft des
Dorfes. Vor allem geschieht es in der Sprache,
der Mundart, die der Bauer pflegt - und die er
noch viel mehr pflegen möge. Ist sie doch ein
Brunnen von Bildhaftigkeit und Wahrheit, voll
herber Schönheit. Heute sind wir glücklich
wieder dort angelangt, wo wir einen Sinn haben
für Schönheit und den Wert des wahrhaftigen
ehrlichen Lebens. Heute finden wir die
Übertünchtheit wieder häßlich, und wir finden es
häßlich, wenn der Bauer städtische Art auf
seinen Hof und in sein Leben hineinzieht und
sein Eigenstes verleugnet. Heute wissen wir, daß
das Land der große Gesundbrunnen für das Leben
ist, der Gesundbrunnen des Volkes, an dessen
frischen Wassern sich alle laben, wenn sie in
der Stadt müde geworden sind.
Auf solch fester, sicherer Ebene steht die Frau
der Stadt nicht. Darum ist ihre Aufgabe, von der
wir hier sprechen, schwerer zu lösen, und sie
wird sie auch nur in geringerem Maße überhaupt
lösen können. Die Stadt ist dem Wechsel
zugänglicher. Der Grund liegt in der
übermächtigen Gewalt, mit der die Stadt von
außen her sich des Menschen bemächtigt, in der
Gewalt, mit der sie ständig das Eigenleben, das
Innenleben ihrer Menschen angreift und aufsaugt.
Ich fuhr vor einiger Zeit mit der Bahn von
Altenhundem nach Hagen-Essen. Auf einer kleiner
Sauerlandstation stiegen etwa dreißig Mütter
ein, die zur Erholung vier Wochen auf dem Lande
gewesen waren. Die Mütter waren fröhlich, sie
erzählten, wie gut sie es gehabt hatten, und nun
freuten sie sich auf die Heimkehr und auf ihre
Familie. Es dauerte nicht lange, da stimmte eine
Frau ein Lied an. Es war ein Volkslied. Bald war
allgemeiner froher Gesang da. Ich dachte: wann
hörte man früher Mütter singen? Wann überhaupt
sah man früher Mütter? Diese Bahnfahrt konnte
wirklich Freude machen. Dann kam Hohenlimburg.
Kaum waren wir durchgefahren, da plötzlich kam
der erste Schlager auf. Dieselbe Frau, die das
erste Volkslied angestimmt hatte, sang: „Du
kannst nicht treu sein." Die andern fielen ein.
Vorher, in den grünen Bergen, war kein Schlager
aufgekommen. - Wie war das möglich? In
Hohenlimburg ist die Nähe Hagens spürbar. Die
große Stadt ist zu merken. Das Industriegebiet.
Es nahm seine Menschen auf. Unwillkürlich
folgten die Frauen jenem Gesetz, ohne es zu
ahnen.
Es wäre nun blind, wollte man das Land als die
alleinige Stätte des Lebens ansehen, und wollte
man die großen Zusammenwürfe der Menschen in den
Städten verneinen. Mächtige Völker schaffen
weite Kreisläufe ihrer Kräfte, und so entstehen
Brennpunkte des Lebens, in denen es sich
zusammenballt zu größten Leistungen und größten
Untergängen zugleich. Glanz und Vergängnis sind
die beiden Pole der großen Stadt. Alle geistigen
Spannungen drängen sich zu dieser Mitte hin,
entladen sich, sprühen dort auf im Angesicht der
Menschheit, türmen sich dort zum Gipfel, weithin
sichtbar, und sie werfen ihr Licht zurück auf
das Land ihrer Herkunft, dorthin, wo ihr
Anbeginn liegt. Denn anders kann man das Land
nicht sehen als Anbeginn, als den mütterlichen
Schoß des Lebens, kraftspendend, kraftbewahrend
in seiner Gebundenheit. Anders kann man die
Stadt nicht sehen, als letzte und höchste
Darbietung und Entwicklung dieser Kraft, als
männliche Auswirkung und Steigerung der Kraft
bis zur Erfüllung ihres innersten Gesetzes.
Hier müssen wir nun noch nach der Frau fragen,
nach der Frau in der Stadt und ihrer Pflicht am
Volkstum. Heimat im ländlichen Sinne gibt es in
der Stadt kaum. Der Hundertsatz der Menschen,
die ihre ganze Kindheit und Jugend in ein und
derselben Stadt zugebracht haben, oder die gar
ihr ganzes Leben darin bleiben können, ist
klein. Wieviel Wohnungen schon kann der einzelne
Mensch nennen, die er innehatte, bis er
erwachsen war! Und verläßt er eine Wohnung, so
zieht ein anderer ein, und der andere verändert
sie nach seiner Weise. Sogleich ist alles
ausgelöscht, was einer irgendwie liebgehabt hat.
Heimatlosigkeit ist das Schicksal des
Menschen der Stadt, Wechsel von Ort zu Ort.
Dennoch kann sich keiner der Frage nach der
Heimat entziehen Jeder Mensch sucht einen
Ruhepunkt, von dem er ausgehen kann, wenn er
seinen Weg überblicken will. Der Mensch vom
Lande hat eine ganze kleine Welt, die ihre
bestimmte Form und ihr unverrückbares Leben
durch lange Zeiten und Geschlechterreihen hat.
So wird man immer, wenn man ihn nach der Heimat
fragt, die Schilderung dieser Welt und seine
kleinen Erlebnisse in dieser Welt gesagt
bekommen. - Fragen wir den Menschen der Stadt
nach der Heimat, so beginnt er mit seiner
Mutter. Er beginnt nicht einmal mit der Wohnung,
so gering ist das Örtliche, ist die Welt der
Stadt als Heimat. Erst später, wenn der junge
Mensch selber Stellung zu der Welt der Stadt
nimmt, dann bildet sich auch der Ort zur
Vorstellung Heimat aus. Was vorher ist, das
füllt die Mutter ganz aus. Dazu kommt der Vater,
wie er von der Arbeit, von der Schicht, von der
Geschäftsreise usw. auf Stunden in die Familie
heimkehrt. Der Ruhepunkt aber ist die Mutter.
Wehe aber, wenn die Mutter in der Stadt dieser
Aufgabe nicht mächtig ist! Wenn sie zu gering
ist, wenn ihr Innenleben zu schwach ist für
diese Aufgabe, Heimat zu sein!
Da ihr keine äußeren Mittel der Bewahrung zur
Verfügung stehen wie der Frau auf dem Lande, so
muß sie alles in sich selber finden. Das ist ein
Kampf, in dem es Siege, aber keinen Sieg gibt,
denn ohne Aufhören brandet das Meer der
Wandlungen und Verwandlungen von außen an die
Frau heran, und man kann nur fragen: wieweit
vermagst du dein eigen Wesen zu retten in dieser
ewigen Brandung? - Hier mag wieder ein Beispiel
stehen!
Ich erhielt
einen Brief aus der Großstadt, geschrieben von
einem Mädel oder einer Frau, der mir zeigte, daß
die Schreiberin meine Bücher sehr ernst und gut
gelesen hatte. Sie hatte die Gestalten der
Bücher durchaus richtig gesehen, ihre Handlungen
verstanden bis auf eine: daß die Wolfstochter
wieder heimkehrte unter das Dach ihres
väterlichen Hauses, um noch mit dem Vater dort
zu leben. Sie schrieb: „Das halte ich für
Schwäche. Magdalene mußte sich entweder selber
töten oder auf die Landstraße gehen." So konnte
nur ein Mensch aus der Stadt schreiben, der
nichts mehr vom Bauerntum und der Gebundenheit
an Hof und Heimat weiß. Magdalene ist eine
Bäuerin. Eine Bäuerin aber verläßt den Ort ihrer
Pflicht niemals. Sie steht an ihrem Platze bis
sie zusammenbricht. Sie weicht der Pflicht nicht
aus, auch dann nicht, wenn ihre Erfüllung schwer
ist, wenn sie schwerer ist als der Tod. Und was
für einen Sinn hätte dann ihre Liebe gehabt und
die Hoffnung auf das Kind? - Man darf annehmen,
daß jene Schreiberin ganz mit den Augen der
Stadt, vielleicht des Films, sah, für den ein
solches Ende wirkungsvoller gewesen wäre. - An
diesem Beispiel werden die beiden Welten
sichtbar, die unser Volk in seiner Gesamtheit
umfassen. Wie groß aber die Aufgabe der Frau in
jeder dieser Welten ist, das darzutun war mein
Bemühen.
Ich möchte Ihnen zum Schluß noch einmal jenes
Bild der Frau vor die Seele rufen, das unsere
germanischen Vorfahren in ihrer hohen Ehrfurcht
von der Frau schufen, das Bild der Norne. Völker
schaffen ihre Zeichen und Symbole immer aus
einer tiefen Wahrheit heraus, und diese Zeichen
sind Bekenntnis und Verpflichtung zugleich,
Verpflichtung für uns alle, die wir unmittelbar
im Dienst am Leben stehen. Seien wir der
erhabenen Deutung würdig, die unsere Vorfahren
ihren Frauen in dem Bild der Norne gaben!
Josefa Berens-Totenohl
(1891 - 1969) deutsche Schriftstellerin und
Malerin.(Nordische Zeitung 3/2007)
|