»Befreiung ist möglich!«
Die Deutsche Stimme sprach mit dem Nahost-Kenner
und Publizisten Richard Melisch über die
Globalisierung, den (Un-)Frieden in Nahost und
sein neues Buch.
Herr Melisch, Sie sind aufgrund Ihrer
jahrzehntelangen beruflichen Tätigkeit im Nahen
Osten ein profunder Kenner der Region. Ohne
Umschweife gefragt: wird es Krieg gegen den Iran
geben?
Melisch:
Keine Frage, daß sowohl die israelischen als
auch die amerikanischen Schlachtrösser wiehern
und mit den Hufen scharren, wenn sie nur das
Wort Iran hören. Wozu denn die vielfache
Übermacht an Bombern, Raketen, Atom U-Booten,
biologischen und chemischen Kampfstoffen, wenn
diese Waffen nicht eingesetzt werden? Sicher
ist, daß der Iran gegen eine solche Übermacht
nicht die geringste Chance hätte. Ebenso sicher
ist, daß der Iran im Kriegsfall nicht zögern
würde, den Persischen Golf an der engsten
Stelle, der Straße von Hormuz, zu sperren und
somit die Ausfuhr von etwa 40 Prozent des
weltweit geförderten Erdöls nachhaltig zu
unterbinden. Angesichts starken Widerstandes in
den Reihen des amerikanischen Militärs,
Interventionen der indischen und chinesischen
Regierung sowie Warnungen von Seiten des
Ölkartells ist es unwahrscheinlich, daß sich
die USA – zum jetzigen Zeitpunkt – in einen
Krieg gegen den Iran einlassen.
Frage: In Ihrem Buch »Pulverfaß Nahost« haben
Sie die Gründung und die Politik des Staates
Israel nachgezeichnet. Welche Schlußfolgerungen
ziehen Sie daraus für die nächste Zeit? Ist
Israel überhaupt friedens- und dialogfähig?
Melisch:
Beide Konfliktparteien wären jederzeit bereit,
einen Friedensvertrag zu unterzeichnen, würde
sich die jeweilige Gegenseite bereit erklären,
folgende Bedingungen zu erfüllen: Die Araber
fordern den Abzug Israels aus allen seit 1967
besetzten Gebieten, die Rückkehr aller seit
1948 aus ihrer Heimat vertriebenen
palästinensischen Flüchtlinge, die Schaffung
eines souveränen palästinensischen Staates auf
seinem angestammten Boden und die Hauptstadt
Ost-Jerusalem.
Die Zionisten fordern ihrerseits von den
Arabern die Anerkennung des Staates Israel,
ferner das Eingeständnis, daß die inzwischen 1,4
bis 1,6 Millionen zählenden palästinensischen
Flüchtlinge ihre Heimat freiwillig verlassen und
daher kein Recht auf Rückkehr haben. Weil
Israel, auf sich gestellt, nicht
überlebensfähig ist, sondern am Dauertropf der
Zuwendungen aus der Diaspora, Deutschlands
und der USA hängt, drängt sich ein Vergleich
mit dem Schicksal des christlichen Königreichs
Jerusalem auf, das sich mangels Nachschub an
Einwanderern, Waffen und Finanzen nach achtzig
Jahren auflöste.
Frage: Szenenwechsel – Ihr aktuelles Buch »Das
Schweigen der glücklichen Sklaven« gilt der
Globalisierung und ihren Drahtziehern.
Hierzulande ist oft zu hören, die
Globalisierung sei eine Art Naturgesetz. Sie
behaupten etwas anderes…
Melisch:
Die »Globalisierung« ist weder eine unabwendbare
Naturkatastrophe noch ein gottgewolltes neues
Zeitalter der Weltgeschichte, das sich hinter
Altertum, Mittelalter und Neuzeit anfügt. Sie
ist eine von ganz wenigen machtvollen
Entscheidungsträgern geplante und mit allen
ihnen zur Verfügung stehenden finanziellen,
politischen und propagandistischen Mitteln
angestrebte Weltherrschaft des Materialismus
pur, die den Interessen einer verschwindend
kleinen Minderheit von Nutznießern dient und
nur durch die politische und wirtschaftliche
Gleichschaltung aller Völker der Erde umgesetzt
werden kann.
Frage: Eines der wichtigsten Verdienste Ihrer
letzten Bücher ist es, das deutschsprachige
Leserpublikum auf die Werke des US-Publizisten
und Geopolitikers Thomas Barnett aufmerksam
gemacht zu haben, den hierzulande kaum jemand
kennt. Was hat es mit dieser Figur auf sich?
Melisch:
Thomas P.M. Barnett studierte politische
Wissenschaften an der Harvard Universität, galt
in den USA Ende der 90er Jahre als einer der
bedeutendsten Strategieforscher, war Professor
an der US-Marine-Kriegsakademie zu Newport,
Rhode Island. Im Auftrag der Globalisierer wird
er Anfang 2000 von der angesehenen Wall Street
Firma Cantor & Fitzgerald eingeladen, eine
»Denkfabrik« (think tank) zur Ausarbeitung von
Strategien zur Umsetzung der globalen
Wirtschaftsordnung zu organisieren. Im 107.
Stockwerk des New Yorker World Trade Center
bezieht die erlesene Arbeitsgruppe ein Büro der
genannten Firma. Seine Bücher »The Pentagon‘s
New Map« und »Blueprint for Action« erschienen
2004 und 2005 in angesehenen Verlagen, zierten
jahrelang die Bestsellerliste der New York
Times und durften trotzdem in keine
Fremdsprachen übersetzt werden. Seit 2007
leitet er die private Beratungsfirma »Enterra
Solutions«, die globalwirtschaftliche Konzepte
erstellt. 2009 erschien sein Buch »Great Powers«.
Frage: Nun gibt es ja durchaus noch Gegenkräfte
gegen die Globalisierung – Sie erwähnen die
sogenannte »Shanghai-Kooperation« oder den
erwachenden Widerstand lateinamerikanischer
Staaten. Wie ernst sind diese Gegenkräfte gegen
die von den USA vorangetriebene Globalisierung
zu nehmen?
Melisch:
Zu den Gründungsmitgliedern der »Shanghai
Cooperation Organization« (SCO) gehören China,
Rußland, Kasachstan, Usbekistan, Kirgisien,
Tadschikistan, Mongolei, Pakistan und Indien.
Zweck der SCO ist es, Terrorismus, Extremismus
und Separatismus gemeinsam zu bekämpfen.
2007 schlossen sich die Länder Nepal,
Turkmenistan, Sri Lanka, Weißrußland als
Beobachter an, wurden die Ausweitung des
Bündnisses zum kollektiven Verteidigungspakt
CSTO (Collective Security Treaty
Organization) und die Abhaltung
gemeinsamer Manöver beschlossen. 2008 traten
der Iran und Venezuela als assoziierte
Mitglieder bei. Die Mitglieder der SCO wollen
nicht mehr tatenlos zusehen, wie die
Globalisierer, unterstützt von den USA und ihren
Vasallen, Schritt für Schritt ihre Einkreisung
betreiben, Oppositionsparteien finanzieren
und ethnische Minderheiten zu Bürgerkriegen
aufstacheln, um sich in den Besitz ihrer
Rohstoffe und Bodenschätze zu setzen. Vor zehn
Jahren begann in den Ländern Lateinamerikas ein
Prozeß der Emanzipation von den übermächtigen
USA. Auslöser waren in Venezuela Hugo Chávez,
ein einfacher Mann aus dem Volk, und in
Bolivien Evo Morales, ein Indianer aus dem Stamm
der Aymará, denen es gelang, die Armen und
Ärmsten zu überzeugen, für sie zu stimmen. Beide
gewannen die Wahl und haben damit auch bei den
seit Jahrhunderten unterdrückten, rechtlosen
Mehrheitsbevölkerungen in den anderen Staaten
des Halbkontinents neue Hoffnungen geweckt.
Was vor wenigen Jahren noch unmöglich schien,
ist jetzt Wirklichkeit geworden: Die
Lateinamerikaner sind auf dem besten Weg,
sich von Gängelung und Ausbeutung durch die USA
zu befreien. Am 3. November 2007 eröffnete in
Caracas die »Bank des Südens« (Banco del Sur).
Sie stellt eine Herausforderung, ja eine
Kriegserklärung an die von den USA kontrollierte
Weltbank und den Internationalen Währungsfonds
(IWF) dar. Sie räumt den Mitgliedstaaten
zinsgünstige Kredite ein, ohne politische
Bedingungen zu diktieren, ohne auf sozial
unverträgliche Auflagen zu bestehen, wie sie
beim IWF üblich sind.
Sie finanziert nicht nur
Infrastrukturprojekte, sondern auch Export-
und Importgeschäfte der Mitgliedsländer
Venezuela, Bolivien, Brasilien, Argentinien,
Paraguay, Ecuador, Uruguay und einiger
mittelamerikanischer und karibischer Staaten in
Landeswährung, Euro, Dollar oder im Rahmen von
langfristigen Warenaustauschverträgen. Im
Juni 2006 schlug Hugo Chávez den EU-Staaten vor,
sich an langfristigen Projekten in
Multimilliardenhöhe zum Aufbau der
Infrastruktur Lateinamerikas zinsfrei zu
beteiligen – und wurde totgeschwiegen.
Frage: Sie prognostizieren als Folge des
ungebremsten Monopoly-Kapitalismus den
weltweiten Kollaps des gegenwärtigen
Welt-Finanzsystems. Wie realistisch ist das –
und in welchem Zeitrahmen?
Melisch:
Als die weltbeherrschende Finanz-Mafia 2008 zur
Kenntnis nehmen mußte, daß sie die Gesetze der
Natur und der Arithmetik, trotz noch so
schwindelerregenden Spekulationen,
Luftgeschäften und ausgeklügelten Betrügereien
nicht aus den Angeln heben konnte, war es zu
spät, um den Mega-Crash des Weltfinanzsystems
aufzuhalten. Dank »Hilfspaketen« amerikanischer
und EU-europäischer Steuerzahler in
Billionenhöhe gehen die schuldtragenden
Wucherer der Hochfinanz, unterstützt und
angetrieben von hochdotierten
Politlobbyisten und ihren medialen
Auftragskläffern, 2010 daran, eine noch
mächtigere Weltfinanz-»Titanic« auf Kiel zu
legen, die denselben Kurs steuert, deshalb
gegen genau denselben Eisberg krachen wird, wie
ihre Vorgängerin, und mögen die Völker dabei
verrecken.
Frage:
Welche Hoffnung haben Sie für Deutschland –
werden die »glücklichen Sklaven« irgendwann
aufwachen?
Melisch:
Niemals haben im Laufe der Weltgeschichte die
Massen von »glücklichen Sklaven« eine Rolle
gespielt. Ob bei den Thermopylen, im Teutoburger
Wald, am Lechfeld, vor den Toren Wiens, stets
waren es die wenigen Entschlossenen, auf die es
ankam. In Frankreich war es gar ein einfaches
Mädchen vom Lande, Jeanne d‘Arc, das ihr
Vaterland rettete. Es mangelt hierzulande auch
heute nicht an Opferbereiten. Das Einzige, was
den Endsieg und Triumph der Weltverschwörer noch
ermöglichen könnte, wäre, wenn unsere
wertvollsten Männer und Frauen den Entschluß
fassen sollten, den Kampf aufzugeben.
Herr Melisch, wir bedanken uns für das Gespräch.
Das Gespräch führte DS-Chefredakteur Karl
Richter
Buchempfehlung – Neuerscheinung: Richard Melisch
– Das Schweigen der glücklichen Sklaven, 480 S.,
50 Abb., Klappenbroschur, 19,80 Euro (Art.-Nr.
105806). Zu beziehen über den DS-Versand,
Postfach 100068, 01571 Riesa, Tel. (03525)
5292-0, Fax (03525) 529222, E-Post:
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