»Wir sind alle Georgier!«
Worum es im Kaukasus wirklich geht / Russlands
überfälliger Befreiungsschlag
In
der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008
eröffnete die schwere georgische Artillerie
für den Westen unvermittelt das Feuer auf die
kleine »Hauptstadt« Südossetiens, Zchinwali,
deren Name in der Welt zuvor so gut wie
unbekannt war. Kurz danach rollten Panzer über
die Grenze, stieß Infanterie nach und flohen
zehntausende Menschen ins Hochgebirge des
Kaukasus, wo sie versuchten, den rettenden
Tunnel nach Nordossetien zu erreichen.
Scheinbar wieder einer der zahlreichen und
unüberschaubaren Nationalitätenkonflikte des
Kaukasus, der Landbrücke zwischen Schwarzem
und Kaspischem Meer, die seit dem Zerfall der
Sowjetunion die Regionen erschütterten, vom
Rest der Welt aber kaum wahrgenommen wurden.
Doch diesmal sollte alles anders werden. Das »L´Émpire
éclaté«, der »Tönerne Riese«, die zwei
Jahrzehnte lang gedemütigte ehemalige
Supermacht Rußland schlug zurück und stellte
die nichtgeorgischen Bewohner des autonomen
Gebiets unter seinen Schutz. Und die westliche
Welt der Doppelmoral, die zum Überfall auf
Ossetien kein Wort verloren hatte, empörte
sich in einem medialen Tremolo, das nicht nur
in der Beschwörung eines neuen Kalten Krieges
gipfelte, sondern auch die angebliche
Notwendigkeit durchscheinen ließ, die
»Menschenrechte und Demokratie« eines
europäischen Zwergstaates notfalls mit einer
militärischen Konfrontation der NATO und
Rußlands zu verteidigen, selbst wenn dieser
die Aggression begonnen hatte. Um den Konflikt
zu verstehen, muß man einige Schritte in die
Geschichte zurückgehen. Als Landbrücke
zwischen den beiden Meeren und Verbindung von
Vorderasien und südrussischer Steppe war der
Kaukasus von altersher eine umkämpfte Randzone
mächtiger Nachbarn.
Fragwürdige Minderheitenpolitik
Neben den drei großen Völkern der Georgier,
Armenier und Aserbaidschaner wohnten in der
Region auch viele kleine Völkerschaften, die
sich durch Herkunft, Sprache,
Religionszugehörigkeit, Sitten und Gebräuche
erheblich voneinander unterschieden. Georgien
und Armenien sind zwei der ältesten
christlichen Kulturen weltweit, die meisten
anderen Völker sind durch den sunnitischen
Islam geprägt.
Georgien wurde im 17. und 18. Jahrhundert
sowohl vom Osmanischen Reich als auch von
Persien bedrängt und stellte sich um 1800
unter den Schutz des christlich-orthodoxen
Zarenreiches. Die Schutzmacht besetzte
zwischen 1801 und 1864 peu à peu in vielen
kleinen Schritten und in mehreren Kriegen den
Kaukasus und begann auch in Georgien eine
schleichende Russifizierung, die erst 1918 ihr
vorläufiges Ende fand. Nach dem Ersten
Weltkrieg wurde der Kaukasusstaat für drei
Jahre unabhängig, bis er 1921 in die
Sowjetunion »reintegriert« wurde.
Ein allgemeines Phänomen gilt es zu beachten:
obwohl man in Georgien selbst erst gerade der
übermächtigen Schutzmacht die Unabhängigkeit
abgetrotzt hatte, bestand man darauf,
möglichst viele nichtgeorgische Völkerschaften
dem eigenen Territorium einzuverleiben, also
Großmachtpolitik zu betreiben. Man glaubte zu
Beginn der zwanziger Jahre des 20.
Jahrhunderts, stark genug zu sein, selbst
potentielle Unabhängigkeitsbestrebungen mit
Waffengewalt unterbinden zu können.
Eines der kleinen Völker, das sich jetzt unter
georgischer Dominanz wiederfand, waren die
Osseten. Die circa 600.000 Osseten leben auf
der nördlichen und südlichen Abdachung des
zentralen Hochgebirgskaukasus, daher
Nordosseten und Südosseten. Die einzige
Verbindung über den Gebirgskamm ist heutzutage
ein Tunnel, früher waren es nur schwer
begehbare Gebirgspfade. Dieses iranische (!)
Volk macht 53% der Bevölkerung in Nordossetien
aus, aber nur circa 10% in Südossetien. Viele
Osseten wurden im Zweiten Weltkrieg wegen
Kollaboration mit den Deutschen deportiert.
Absage an ein kaukasisches Tibet
Unter dem Eindruck des Massakers des
georgischen Militärs und der sie
unterstützenden Söldner an der
Zivilbevölkerung von Zchinwali griff ein
weiteres Volk zu den Waffen, um sich endgültig
von Georgien abzuspalten und die Bewohner
ihrer nicht anerkannten Republik vor solch
Völkermord zu schützen. Das circa 150.000
Menschen umfassende kaukasische Bauernvolk der
Abchasen, das eine »autonome Republik« an der
Ostküste des Schwarzen Meeres der Hauptstadt
Suchumi bewohnt, wollte mit russischer
Unterstützung und der Ausrufung der
Unabhängigkeit die Zwangsverbindung mit
Georgien endgültig beenden, nachdem man
bereits 1989 (!) und von August 1992 bis
September 1993 blutige Kämpfe mit den
Georgiern ausgetragen hatte, in denen 8000
Menschen ihr Leben verloren.
1993 wurden 250.000 Georgier aus Abchasien
vertrieben. Was zunächst einmal im Westen als
ein gewaltiger Exodus unschuldiger Menschen
dargestellt wurde, ist in Wirklichkeit der
vielleicht letztmögliche Befreiungsschlag
eines kleinen Volkes gewesen, das nicht zu
einem kaukasischen Tibet werden wollte.
Denn die Georgier siedelten ab 1921 zur
Herrschaftsicherung hunderttausende ihrer
Landsleute im klimatisch milden Abchasien an,
so daß die 1989 verbliebenen 100.000 Abchasen
nur noch 18% der Bevölkerung ausmachten,
während die Georgier nur durch erzwungene
Zuwanderung mit 46% die Bevölkerungsmehrheit
ausmachten. Ein gutes Beispiel, wohin es
führt, wenn die angestammte Bevölkerung
entweder durch unerwünschte Zuwanderung
und/oder durch erheblich geburtenfreudigere
Fremdvölker im eigenen Land an den Rand
gedrängt wird.
Was 1989, also noch zu Sowjetzeiten, und
1992/93 als lokale Querele in der Weltpresse
nur unter »Vermischtes« verbucht wurde, obwohl
auch damals die Russen beteiligt waren, wuchs
sich 2008 in der fast gänzlich
gleichgeschalteten westlichen Presse fast
unisono zu einem Vorspiel für den dritten
Weltkrieg aus. Die unterschiedliche
Beurteilung der gleichen Vorgänge hat
natürlich ebenfalls eine Vorgeschichte.
Nach der Implosion der UdSSR im Jahre 1991 gab
es keine »Friedensdividende«. Im Gegenteil: Um
die Welt zu beherrschen, steigerten die
Amerikaner die Militärausgaben von Jahr zu
Jahr. Die Ex-Supermacht Sowjetunion mußte die
sofortige Auflösung des Warschauer Paktes
hinnehmen. Militärisch impotent und politisch
zerrissen, mußte man auch die Loslösung aller
ehemaligen Sowjetrepubliken aus dem
Staatsverband mitansehen.
Zusätzlich geschwächt wurde man durch
Unabhängigkeitsbestrebungen größerer Völker,
zum Beispiel der Tataren, inmitten der
verbliebenen russischen Föderation. All dies
wurde von den Amerikanern sehr genau
beobachtet und gefördert. Jede Gelegenheit,
die Macht, die ihnen 45 Jahre die Stirn
geboten hatte, weiter zu demütigen und zu
schwächen, wurde ergriffen.
Amerikanische Berater und sogenannte »Think
tanks« infiltrierten die politische Klasse,
das Banksystem, und die Universitäten, die
besten Forscher wurden abgeworben, die reichen
Bodenschätze wurden von einer Hand von
Oligarchen, die fast alle neben dem russischen
auch einen israelischen Paß besaßen,
ausgeplündert und regelrecht enteignet, das
Schul- und Gesundheitswesen wurde zerstört,
das ganze Land fast in den Zustand einer
Kolonie versetzt. Erst Putin machte diesem
Treiben ein Ende.
Es genügte den Amerikanern aber nicht, die
baltischen, kaukasischen, mittelasiatischen
Völker und auch die Ukraine und Weißrußland
als eigene Staaten entstehen zu sehen
beziehungsweise das oftmals nachvollziehbare
Streben nach Abschütteln der russischen Knute
zu unterstützen. Man wollte unbedingt auch den
zweiten Cordon sanitaire, das zweite Glacis,
das in Jahrhunderten seit Iwan III. wie ein
Gürtel um das russische Kernland arrondiert
worden war, in wirtschaftliche Abhängigkeit
vom Westen bringen, sich der Bodenschätze
bemächtigen und im Tarnmantel der erweiterten
NATO unaufhaltsam an die russischen Grenzen
heranrücken.
Erfolgreiche Wühlarbeit der Amerikaner
Dafür kauften die Amerikaner korrupte Despoten
der neuen mittelasiatischen Staaten
Kasachstan, Turkmenistan, Usbekistan,
Kirgisien und Tadschikistan und errichteten
dort Militärbasen und Foltergefängnisse, und
dafür führte man mit viel Geld und falschen
Versprechungen »orangene Revolutionen«, zum
Beispiel in der Ukraine, durch.
Eine wichtige Rolle nahm in den Planungen der
Amerikaner auch die stolze Republik Georgien
ein, deren Lage im Kaukasus von strategischer
Bedeutung war, sowohl wirtschaftlich als auch
militärisch. Tiflis ist nämlich Knotenpunkt
dreier Öl-/Gasleitungen, durch die das
aserbaidschanische Erdöl über die Türkei und
nicht durch Rußland nach Europa fließt; die
Erdgaspipeline Baku-Tiflis-Erzurum, die
Ölpipelines Baku-Tiflis-Ceyhan (Türkei) und
die Western-Route-Export, die von Baku quer
durch Georgien bis zum Schwarzmeerhafen Supsa
verläuft.
Systematisch arbeiteten die USA und Israel auf
die Einsetzung eines »westlich orientierten«
Präsidenten in Georgien hin, um Edward
Schewardnadse, den damaligen Präsidenten und
letzten Außenminister der Sowjetunion, dem
Deutschland zu einem guten Teil die
Vereinigung zu verdanken hat, abzulösen. Man
baute von langer Hand Micheil Saakaschwili,
einen 1967 geborenen Rechtsanwalt, der nach
1991 in Oslo und in den USA studiert hatte und
der im Europa-Parlament tätig war, auf,
förderte dessen Ernennung zum Justizminister,
bis der junge Mann 2002 mit Schewardnadse
brach und sich zu dessen Gegenkandidaten
ausrufen ließ.
Saakaschwili präsentierte sich als junger und
dynamischer Vertreter einer extrem westlich
geprägten Form der »Demokratie« in Georgien,
als dessen Wortführer er mit oppositionellen
Demonstranten am 20. November 2003 den
Sitzungssaal des georgischen Parlaments
stürmte und die Eröffnungsrede des damaligen
Präsidenten Schewardnadse unterbrach. Dieser
floh mit seinen Leibwächtern und erklärte
einen Tag später nach einer Unterredung mit
Saakaschwili seinen Rücktritt. Am 4.1.2004
wurde der neue Präsident mit überwältigender
Mehrheit gewählt und drei Wochen später
vereidigt.
Der halbseidende Herr Saakaschwili
Seitdem wird er von Daniel Kunin, einem jungen
amerikanischen Politologen, beraten. Neben
zahlreichen Akademikern, die in den USA oder
im westlichen Ausland studiert hatten, berief
er auch seinen Onkel Temur Alasania als
Innenminister in die Regierung, der 2004 unter
dem Verdacht der Korruption verhaftet wurde.
Zwei weitere hochbrisante Ministerien wurden
zudem mit Ministern besetzt, bezüglich deren
Loyalität zu Georgien durchaus Zweifel
angebracht sind. Das Ressort Verteidigung
wurde nach dem Rauswurf Irakli Okruaschwilis
mit Davit Keseraschwili besetzt, einem 1978
geborenen jungen Mann, der in Israel aufwuchs
und dorthin »starke Verbindungen« unterhält,
wie israelische Medien noch jüngst stolz
berichteten.
Dazu paßt auch, daß die israelische
Rüstungsindustrie einer der Hauptlieferanten
der georgischen Armee ist, wobei seit dem Jahr
2000 für etwa 500 Millionen Dollar Waffen
geliefert worden sein sollen, nicht zu reden
von israelischen Militärberatern und
-ausbildern, Kooperationsgeschäften etc. Die
Lieferungen sollen mit amerikanischen Krediten
bezahlt worden sein. (Ob von dort auch jene
deutschen Waffen stammen, die sich – trotz
deutschem Ausfuhrverbot – in den Händen der
georgischen Spezialkräfte befinden?)
Welche Interessen verfolgt Israel?
Eine unbekannte Zahl von israelischen
Offizieren und Geheimdienstlern arbeitet zudem
in Georgien in privaten »Sicherheitsfirmen«,
in Unternehmen also, die den amerikanischen
GIs im Irak die Kriegführung bereits so gut
wie abgenommen haben. Nicht weniger brisant
ist das Ministerium für die »Reintegration«
Abchasiens und Ossetiens, eine höfliche
Umschreibung für die militärische
Rückgewinnung der beiden abtrünnigen
Provinzen. Dienstherr dieser Einrichtung ist
Temur Jakobaschwili, ein Mann, der fließend
Hebräisch spricht, wie die israelische
Tageszeitung Ha´aretz am 11. August stolz
betonte.
Bleibt nur noch zu erwähnen, daß der
Musterdemokrat Saakaschwili Anfang November
2007 nach Massenprotesten wegen autoritärer
Politik, Korruption und Versagen im Kampf
gegen Armut zum Rücktritt aufgefordert wurde,
und sich am 8.11.2007 bereiterklärte,
vorgezogenen Präsidentschaftswahlen zuführen.
Die Amerikaner und Israelis gaben zwar kein
Geld, um die Armut in Georgien zu beseitigen,
aber genügend finanzielle Unterstützung, um am
5.1.2008 bei den Präsidentschaftswahlen wieder
mit 53,47% erneut gewählt zu werden.
Man versteht wunderbar, nach welchen Kriterien
westliche Demokratie funktioniert, wenn man
sich vor Augen hält, daß der Leiter der
Wahlbeobachterkommission der OSZE, der
deutsche Diplomat Dieter Boden, die von der
Opposition erhobenen Vorwürfe »grober,
fahrlässiger und vorsätzlicher Fälschungen bei
der Auszählung der Wahl« bestätigte, der
CDU-Bundestagsabgeordnete Manfred Grund – auch
er Teilnehmer der Mission – dies aber
zurückwies, da sich diese nicht mit den
Feststellungen, die in der Abschlußbesprechung
der Mission getroffen worden seien, deckten.
Dieses saubere Triumvirat – Saakaschwili und
seine beiden Minister – aber ließ also am 8.
August die Muskeln spielen, weil es fest mit
amerikanischer Rückendeckung gerechnet hat.
Fast atemlos beschrieb der letzte sowjetische
Generalsekretär Michail Gorbatschow den
Überfall: »Etwas nach Mitternacht, als die
ganze Stadt (Zchinwali) schlief, wurde die
Stadt unter Beschuß genommen. Unter enormen
Beschuß, mit großkalibrigen Waffen, zu Land
und auch aus der Luft. Jede Art des Tötens war
hier recht. Es ist unglaublich. Zchinwali
wurde von allen Seiten zerstört. Es wurde auf
die Zivilbevölkerung geschossen, auf
Krankenhäuser, es wurden die Wasserversorgung
und sanitäre Einrichtungen zerstört, sowie die
Energie- und Kommunikationsinfrastruktur.«
Insbesondere aber hatte man es auf die
kulturelle Identität der Osseten abgesehen,
deren architektonische Zeugen systematisch
zerstört wurden. Damit war klar, daß man die
Rückkehr der geflohenen Zivilbevölkerung
unterbinden und sinnlos machen wollte.
Und dann kam, was kommen mußte: das Imperium
schlug zurück. Endlich. Eindeutig.
Unerbittlich. Wie die Polen, die sich in ihrer
Verblendung 1939 bei ihren Provokationen auf
den versprochenen militärischen Beistand
Großbritanniens verlassen hatten, durch den
deutschen, so wurde auch der georgische
Militärzwerg, dem die Amerikaner telefonisch
viel Glück wünschten, danach durch den
russischen Fleischwolf gedreht.
Rußland schützt russische Bürger
Rußland hatte gezeigt, wo die Schmerzgrenze
verläuft. Es war dem Beispiel Amerikas
gefolgt, das 1962 einen dritten Weltkrieg vom
Zaun brechen wollte, wenn Rußland im
unabhängigen Kuba Atomraketen aufgestellt
hätte. Einfach so, weil es vor seiner Haustür
keine Bedrohung zulassen wollte. Das gleiche
Recht dürfen sicherlich auch andere Staaten
für sich in Anspruch nehmen. Und man konnte
für diesen Einsatz sogar noch ein
völkerrechtliches Argument ins Feld führen: es
galt, russische Bürger zu schützen.
Viele von ihnen sind in den Jahren zuvor
systematisch mit Pässen der Russischen
Föderation versehen worden. Warum auch nicht.
Von der diplomatischen Trickkiste der
westlichen Imperialisten lernen, heißt siegen
lernen. Das hatte man begriffen. Auch die
Begründung für die Anerkennung der
Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens war
schnell zur Hand; es waren doch die
Amerikaner, die 1999 den angeblich serbischen
Völkermord im Kosovo militärisch beenden
wollten und schließlich den geschaffenen
Tatsachen gerecht wurden, indem sie das Kosovo
völkerrechtlich anerkannten. Wenn schon einmal
die Büchse der Pandora geöffnet wird, dann
dürfen sich daraus alle bedienen…
Beneidenswerte Duma
Rußland, ein Staat, dessen Politiker tief in
der Geschichte ihres Landes verwurzelt sind,
hatte sich in den letzten zehn Jahren wie 1812
und im Krimkrieg verhalten. »La Russie ne
boude pas, elle se recoueille« – Rußland sitzt
nicht schmollend in der Ecke, es sammelt seine
Kräfte. Das wußten wenigstens im 19.
Jahrhundert noch die europäischen
Spitzendiplomaten.
Und man hatte die Kräfte gebündelt: die
gewaltigen Einnahmen durch die gestiegenen
Energie- und Rohstoffpreise nutzte Rußland, um
seine Staatsfinanzen zu sanieren, den
Militäretat aufzustocken, die Forschung zu
intensivieren, das Bildungswesen zu
reorganisieren und seinen Bürgern wieder einen
Begriff von nationaler Würde zu vermitteln.
Rußland hat enge Verbindungen zu China und zum
Iran geknüpft, einem Land, das von Georgien
aus mit israelischen Drohnen ausgeforscht
werden sollte, es liefert nicht nur
militärisches Hightech ins Reich der Mitte, es
läßt dort sogar neueste Jagdflugzeuge und
Raketen in Lizenz nachbauen. Wenn die
Amerikaner wenige Tage nach der Beendigung des
Kaukasuskrieges demonstrativ mit Polen ein
Abkommen über die umstrittene
Raketenstationierung unterzeichnen, dann
startet Rußland nicht minder medienwirksam
einen neuen Typ von Interkontinentalrakete,
der von amerikanischen Abwehrsystemen nicht
geortet werden kann.
Und wie beneidenswert einig dieses Großreich
ist, zeigte die Anerkennung der Unabhängigkeit
Abchasiens und Südossetiens in der russischen
Duma: Sie erfolgte einstimmig. Nicht wie unter
sowjetischen Verhältnissen, wo es immer zu
99,8% Zustimmung kam, sondern in einem
Parlament, das anders als der Bundestag fast
das gesamte Spektrum des politischen Lebens
und Denkens abbildet, und wo sonst auf kaum
einem Politikfeld Übereinstimmung erzielt
wird.
Es ist nichts anderes als Lüge und Heuchelei,
wenn die westlichen Medien die berechtigten
Interessen Rußlands als Imperialismus, eine
Duldung der Abwehr des georgischen Angriffs,
als »München 1938«, als »Prag 1968«, als
»maßlose Überreaktion« und dergleichen
brandmarken wollen.
Das wird selbst den Georgiern inzwischen
bewußt. Sie verlangen von Saakaschwili
Antwort. In einem offenen Brief von 80
Oppositionellen, Vertretern von
Menschenrechtsorganisationen und Journalisten,
der in der regierungskritischen georgischen
Tageszeitung »Rezonansi« veröffentlicht wurde,
will das Volk die Wahrheit wissen: »Warum fiel
Georgien … in Südossetien ein?«
Das heutige Rußland treibt kein
imperialistischer Drang, sondern die
Notwendigkeit, sich vor den Begehrlichkeiten
und Drohungen der wahren Imperialisten, der
USA und der NATO, durch eine Sicherheitszone
zu schützen. In der FAZ schrieb Eberhard
Straub am 28. August: „Wenn Rußland wieder
Einfluß gewinnt in ehemaligen Sowjetrepubliken
und unter seinen Nachbarn, dann ist das ein
Zeichen der Normalisierung: eine klassische
europäische Großmacht ist wieder bereit und
fähig, im Pluriversum der Mächte eine
gestaltende Rolle zu übernehmen». Die deutsche
Regierung wäre gut beraten, würde sie sich
daran erinnern, daß die Befreiung Europas aus
dem schleichend zersetzenden Joch der USA nur
mit russischer Hilfe zu bewerkstelligen ist,
daß Rußland ein unverzichtbarer Teil Europas
ist, der allerdings weitaus eher ohne Europa
auskommen kann als Europa ohne Rußland.
Wenn Angelika Merkel vom Kalten Krieg faselt,
dann sollte sie zumindest bedenken, daß es
ohne die russischen Rohstoffe in Deutschland
auch einen kalten Frieden geben kann, denn 70%
der Rohstoffe werden inzwischen von Rußland
geliefert. Wenn aber die Kanzlerin droht, dann
sollte sie auch über Drohpotenzial verfügen.
Eine Bundeswehr, die unterfinanziert ist, die
Schwierigkeiten hat, neues Personal zu
rekrutieren, weil Offiziersanwärter Angst vor
dem scharfen Schuß haben und deren Soldaten zu
40% übergewichtig sind, die ist zwar das
Spiegelbild unserer Demokratie, eine echte
»Parlamentsarmee«, aber Angst davor haben die
Russen nicht, ja nicht einmal die Polen.
Merkel-Deutschland – ein Papiertiger
Man muß es schon fast als Spiel mit dem Feuer
bezeichnen, daß die überforderte
Bundesluftwaffe auch noch den baltischen
Luftraum überwacht, von Staaten also, die
momentan nicht weniger unüberlegt und
aggressiv gegenüber Rußland agieren als etwa
Polen.
Ohne die hilflose Bundeskanzlerin direkt
anzusprechen, gab Wladimir Putin in einem
Interview mit Thomas Roth, das
selbstverständlich im deutschen Fernsehen nur
um die entscheidenden Stellen gekürzt zu sehen
war, der deutschen Politik einige
Binsenweisheiten mit auf den Weg:»Ich bin
überzeugt, daß das Ansehen eines jeden Landes,
das im Stande ist, das Leben und die Würde der
Bürger zu verteidigen, eines Landes, das eine
unabhängige Außenpolitik betreiben kann, daß
das Ansehen eines solchen Landes mittel- oder
langfristig steigen wird. Umgekehrt: Das
Ansehen der Länder, die in der Regel die
Interessen anderer Staaten bedienen, die die
eigenen nationalen Interessen vernachlässigen,
unabhängig davon, wie sie das auch erklären
mögen, wird sinken.«
Wir Deutschen sind bereits am unteren Ende der
Sinkflug-Skala angekommen, denn wir vertreten
überhaupt keine eigenen, sondern fast nur noch
fremde Interessen. Und wir sind im Begriff,
den letzten Rest an außenpolitischem Zutrauen
und Kapital in den Staaten zu verspielen, die
uns in den letzten beiden Jahrhunderten
wohlwollend gegenüberstanden. Denn mit
Marionetten spielen zumeist nur Kinder…
Da ruft uns eine fast gänzlich
gleichgeschaltete westliche Presse zu: »Wir
sind alle Georgier!«, damit wir uns mit
dem Aggressor solidarisieren sollen. Da will
man uns weismachen, daß das, was Georgien
passierte, morgen anderen Staaten und
übermorgen Deutschland widerfahren kann.
Natürlich: wenn wir Rußland angreifen. Aber
wer will das schon. Außer vielleicht die
Amerikaner, Polen und Israel. Wir Deutsche
nicht.
Als am 3.9.1939 Frankreich leichtfertig dem
Deutschen Reich den Krieg erklärte, fragten
sich viele Franzosen auf Plakaten »Mourir pour
Dantzig?« Sie fragten sich nur und leisteten
gegen den sinnlosen Krieg keinen Widerstand.
Kurze Zeit später hatte man hunderttausende
von Toten zu beklagen und die Besetzung eines
großen Teils des Landes; die demokratische
französische »Parlamentsarmee« war weggefegt
worden. Deswegen sollten wir zumindest jetzt
lautstark verkünden: »Wir sind keine Georgier
– denn wir sind keine Idioten!«
Olaf Rose
wissenschaftl. Mitarbeiter NPD-Fraktion
Sachsen
Die Zeitung „Deutsche Stimme“
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