National-Zeitung: Sind die USA ein Schurkenstaat?
Auf
der Münchner Sicherheitskonferenz drohte
US-Senator Lieberman mit einem neuen Krieg – das
andere Amerika hat davon genug
US-Senator Joseph Lieberman stimmte uns auf der
Münchner Sicherheitskonferenz auf Krieg gegen den
Iran ein: „Wir müssen uns entscheiden: Entweder
für harte Wirtschaftssanktionen, damit die
Diplomatie funktioniert, oder wir stehen vor
militärischem Eingreifen.“ Seine demokratische
Parteifreundin Außenministerin Hillary Clinton
beschrieb anlässlich der Sicherheitskonferenz
Frieden und Fortschritt, Sicherheit und Stabilität
als die Ziele der amerikanischen Außenpolitik der
letzten 60 Jahre. Im Gegensatz dazu steht das Buch
„Schurkenstaat/Leitfaden zum Verständnis der
einzigen noch verbliebenen Supermacht der Welt“,
das im Kai Homilius Verlag, Berlin, herauskommt
(328 Seiten, ˆ 14,80). Autor ist William Blum,
Sohn von Einwanderern aus Polen, der das State
Department aus Opposition zum Vietnamkrieg verließ
und heute in Washington als Kritiker der
US-Politik arbeitet.
„AUFHÖREN, ISRAEL ZU UNTERSTÜTZEN“
Blum rechnet in „Schurkenstaat“ kompromisslos ab:
„Zwischen 1945 und 2005 haben die USA versucht,
mehr als 30 nationale Volksbewegungen im Kampf
gegen unerträgliche Regimes zu zerschlagen und
mehr als 50 fremde Regierungen zu stürzen, wobei
sie das Leben mehrerer Millionen Menschen
ausgelöscht und viele weitere Millionen zu einem
Leben in Not und Verzweiflung verurteilt haben.“
Dabei bedienten sich die Geheimdienste eines
ausgeklügelten Systems von Unrechtsmaßnahmen,
insbesondere auch vielfältiger Foltern.
In „Schurkenstaat“ wird über die Ergebnisse einer
Umfrage im Juni 2004 in der muslimischen Welt
berichtet. Auf die Frage: „Woran denken Sie
zuerst, wenn Sie Amerika hören?“, antwortete die
übergroße Mehrheit: „An eine ungerechte
Außenpolitik“. Und auf die weitere Frage, was
Amerika tun könne, um sein Ansehen in der
arabischen Welt zu verbessern, lauteten die
häufigsten Antworten: „Aufhören, Israel zu
unterstützen“ und „Seine Nahostpolitik ändern“.
Die meisten Befragten äußerten die Ansicht, dass
der Irak-Krieg zu mehr Terrorismus und weniger
Demokratie geführt hat, und dass es dem irakischen
Volk jetzt schlechter gehe als unter Husseins
Herrschaft. Die Mehrheit der Befragten war der
Auffassung, in Wahrheit seien die USA wegen der
Erdöls im Irak einmarschiert und um Israel zu
unterstützen und die muslimische Welt zu
schwächen.
Selbst ein Beratungsgremium des Pentagon, nämlich
das Defense Science Board, kommt zu dem Schluss:
„Die Muslime hassen nicht unsere Freiheiten,
sondern eher unser politisches Vorgehen … Die
Muslime glauben, die Besetzung Afghanistans und
des Irak habe diesen Ländern nicht mehr Demokratie
gebracht, sondern nur mehr Chaos und Leid.“
MÖRDERISCHE CIA-PRAKTIKEN
In „Schurkenstaat“ werden Auszüge aus
Ausbildungshandbüchern der US-Armee und der CIA
veröffentlicht wie zum Beispiel:
„Die beste Methode für einen heimlichen
Mordanschlag … ist ein inszenierter Unfall. Bei
entsprechender Ausführung entsteht kaum Aufregung
und die Untersuchungen sind in solchen Fällen eher
lax. Am effektivsten … ist ein Sturz aus einer
Höhe von 22 Metern oder mehr mit Aufprall auf eine
harte Oberfläche. Hier können Aufzugsschächte,
Treppenhäuser, ungesicherte Fenster oder Brücken
benutzt werden … Für die Tat wird das Opfer durch
einen plötzlichen entschlossenen Griff nach den
Fußgelenken aus dem Gleichgewicht gebracht und so
über die Kante gestürzt.“
Empfohlen wird auch die Verabreichung von
Medikamenten:
„Eine Überdosis Morphium führt ohne weitere
Aufregung zum Tode und ist außerdem nur schwer
nachweisbar.“
Auf vielen Seiten listet Blum ungeheuerliche
CIA-Folterpraktiken auf, die besonders unter der
letzten Bush-Administration „kultiviert“ wurden.
Der Autor klagt unter anderem George W. Bush,
Richard Cheney, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz,
Colin Powell, Condoleezza Rice wegen der
furchtbaren Schrecken und des unsagbaren Leids an,
das sie bewusst über die Menschen im Irak und
Afghanistan gebracht haben.
UNGESÜHNTER LUFTTERROR
Beliebt in der US-Politik sei auch das Verbrechen
der Bombardierungen. Bombardierungen von Städten
aus der Luft fänden nicht nur keine Richter,
sondern noch nicht einmal Kläger:
„Das ist ein Erbteil des Zweiten Weltkrieges. In
den Urteilen von Nürnberg und Tokio wird das Thema
Luftangriffe mit keiner Silbe erwähnt. Da beide
Seiten sich in Sachen Zerstörung der Städte in
nichts nachgestanden haben – nur dass die
Alliierten weitaus erfolgreicher waren – gab es
keine Grundlage für Anklagen gegen die Deutschen
oder die Japaner, und so gab es eben auch keine
Anklagen. Doch Telford Taylor hatte recht, als er
fragte: ‚Gibt es irgendeinen wesentlichen
Unterschied zwischen der Ermordung eines Kindes in
den Armen seiner Mutter durch den Abwurf einer
Bombe aus einem Flugzeug oder durch das
Gewehrfeuer eines Soldaten?‘“
Blum erinnert an den Kriegsverbrecher-Prozess in
Tokio gegen den ehemaligen japanischen
Ministerpräsidenten Tojo. Dessen Verteidiger habe
das Tribunal gefragt, warum Tojos Verbrechen
schwerer wiegen sollten als der Abwurf der
Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. An dieser
Stelle ließ die Anklage die japanische Übersetzung
unterbrechen und ordnete an, diese Bemerkung aus
den offiziellen Aufzeichnungen über den Prozess
und aus den Presseberichten zu streichen.
PHARISÄERHAFTE BOTSCHAFT AN DIE VÖLKER
George W. Bush heuchelte am 22. November 2001:
„Amerika hat eine Botschaft für die Völker der
Welt. Wer Terroristen Zuflucht gewährt, ist selbst
ein Terrorist. Wer einen Terroristen ausbildet
oder ihn mit Waffen versorgt, ist auch ein
Terrorist. Wer einen Terroristen unterhält oder
ihm Geld gibt, ist ebenfalls ein Terrorist. Und
die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten
werden ihn dafür zur Verantwortung ziehen.“
„Schurkenstaat“ enthält interessante Überlegungen:
„Wir Amerikaner würden nie jemanden als
Präsidenten in Betracht ziehen, der irgendwann
einmal eine Bombe in ein vollbesetztes Restaurant
geworfen hat. Doch wir haben kein Problem damit,
jemanden zum Präsidenten zu wählen, der schon
einmal Bomben aus Flugzeugen hat abwerfen lassen,
durch die nicht nur Restaurants zerstört wurden,
sondern die Gebäude, in denen sie sich befinden,
und die sie umgebenden Wohngegenden gleich mit.“
Die Vorstellung, Bomben oder Raketen aus großer
Entfernung auf fremde Städte und Völker
abzuwerfen, hat laut Blum für amerikanische
Politiker und Militärs etwas sehr Anziehendes.
Einerseits wolle man vermeiden, dass US-Soldaten
ihr Leben im Bodenkampf verlieren, andererseits
möchte man aber auch nicht die Überreste der Opfer
sehen.
AUSROTTUNGSKRIEGE IN VIETNAM UND IM IRAK
Eine große Rolle in „Schurkenstaat“ spielt der
Vietnamkrieg. Ab Anfang der 60er-Jahre haben die
USA zehn Jahre hindurch tonnenweise Herbizide über
Südvietnam versprüht. Zwei Millionen Menschen
waren diesen Giften ausgesetzt, die den Tod oder
furchtbare Krankheiten verursachten. Weitere
Kampfmittel, die die USA in Vietnam einsetzten,
waren Napalm und Naphthalin-Flammenwerfer.
Blum klagt in seinem Kompendium unbeschreiblicher
Untaten der US-Politik an:
„40 Tage und Nächte lang bombardierten 1991
US-Streitkräfte ohne Unterlass den Irak als eines
der fortschrittlichsten Länder im Nahen Osten und
zerstörten so seine jahrhundertealte und
gleichzeitig moderne Hauptstadt. Fast 90 Millionen
Kilo Bomben wurden auf den Irak abgeworfen – bis
dahin der konzentrierteste Luftangriff aller
Zeiten. Die mit abgereichertem Uran bestückten
Waffen verbrannten die Menschen und verursachten
Spätfolgen wie Krebs und verschiedene
Fehlbildungen bei Kindern. Durch den Einsatz
chemischer und biologischer Waffen und die
Sprengung von Ölförderanlagen wurde die Luft
verpestet, Soldaten wurden absichtlich lebendig
begraben.“
Das Ergebnis war die Zerstörung der Infrastruktur
mit schrecklichen Auswirkungen auf die Gesundheit.
Die Aufrechterhaltung der Sanktionen gegen den
Irak bis ins 21. Jahrhundert verschlimmerte die
Lage im Gesundheitsbereich weiter, so dass „mehr
als eine Million Kinder und weit mehr Erwachsene“
ums Leben kamen.
Zitiert wird Brigadegeneral William Looney als
einer der Leiter der fortgesetzten Bombardierung
des Landes zwischen den Kriegen („Operation
Southern Watch” 1992–2003):
„Sie [die Iraker] wissen, dass ihr Land uns
gehört. Der Luftraum gehört uns. Wir bestimmen,
wie sie leben und reden. Und das ist das
Großartige an Amerika heutzutage. Das ist wirklich
toll, vor allem, wenn es da draußen viel Öl gibt,
das wir brauchen“.
Blum nennt seine Quellen; hier ist es die
Washington Post vom 24. Juni 1996.
Die eigentliche Ursache für das amerikanische
Eingreifen ist laut Blum „vielleicht“ nicht der
irakische Einmarsch in Kuwait gewesen, sondern ein
Prinzip, das Noam Chomsky so beschreibt:
„Seit den 40er-Jahren gehört es zu den wichtigsten
Doktrinen der US-amerikanischen Außenpolitik, dass
die riesigen und einzigartigen Energieressourcen
der Golf-Region letztlich unter der Kontrolle der
Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten stehen
müssen und dass vor allem keine unabhängige
einheimische Macht die Möglichkeit haben darf,
wesentlichen Einfluss auf die Ölproduktion und den
Ölpreis zu nehmen.“
DIE WAHREN ZIELE IN AFGHANISTAN
In dem als „Geschichte der weltweiten
Interventionen der USA von 1945 bis zur Gegenwart“
überschriebenen Kapitel interessiert uns derzeit
wohl am meisten: Afghanistan. Nach Blums
Erkenntnissen dient die Besetzung des Landes durch
die USA dem Zweck, eine neue Regierung
einzusetzen, die Washingtons internationale Ziele
unterstützen soll, so zum Beispiel die Errichtung
von Militärstützpunkten und elektronischen
Abhörstationen sowie die Einrichtung sicherer Öl-
und Gaspipelines von der Region um das Kaspische
Meer durch Afghanistan zum Indischen Ozean. Seit
Jahren würden amerikanische Ölkonzerne mit diesem
Plan liebäugeln. Doch das Ergebnis des
Afghanistankriegs sehe furchtbar aus: Tausende
Afghanen kamen ums Leben. Ein Großteil des Landes
wurde zerstört. Das abgereicherte Uran in den
Waffen zeitigt grauenvolle Folgen. Die
Kriegsherren eroberten die Macht zurück und der
Opiumhandel floriert. Verbrechen und Gewalt
gehören wieder zum täglichen Leben. Der Präsident
ist eine Marionette der Amerikaner. Die fremden
Soldaten behandeln die Afghanen schlecht – bis hin
zu Folter und Isolationshaft.
Quelle: “National Zeitung“
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