Offener Brief russischer Ärzte in Libyen an den Präsidenten der Russischen Föderation
OFFENER BRIEF
an den
Präsidenten der Russischen Föderation, D.A.
Medwedjew
Premierminister der Russischen Föderation, V.V.
Putin
von Bürgern der Ukraine, Weißrußlands und
Rußlands, die in Libyen arbeiten und leben
24.
März 2011, Tripolis, Libyen
Sehr geehrte Herren Medwedjew und Vladimir
Putin,
Sie
meinten, heute sei es das Schicksal der Bürger
der ehemaligen Sowjetunion, als Bürger
verschiedener slawischer GUS-Staaten zu leben:
Ukraine, Weißrußland und Rußland. Trotzdem sind
wir alle davon überzeugt, daß Rußland als der
Nachfolger der UdSSR die einzige
Sicherheitsgarantie für die Interessen
unserer Länder und die Sicherheit unserer Bürger
darstellt. Deshalb wenden wir uns mit der Bitte
um Hilfe und um Gerechtigkeit an Sie.
Heute
findet eine himmelschreiende, ausländische
Aggression von USA und NATO gegen ein souveränes
Land, Libyen, statt. Sollte jemand das
bezweifeln, ist unsere Antwort, daß diese
Tatsache so offenkundig wie wohlbekannt ist,
weil sich all das vor unseren Augen zuträgt, und
die Aktionen von USA und NATO nicht nur das
Leben der Bürger Libyens bedrohen, sondern auch
das unsere, da wir uns auf seinem Territorium
aufhalten. Wir sind entsetzt über die
barbarischen Bombenangriffe auf Libyen, die zur
Zeit von einer Koalition der USA und der NATO
durchgeführt werden.
Die
Bombardierung Tripolis' und anderer Städte
Libyens zielt nicht nur auf die Luftabwehr und
die libysche Luftwaffe und richtet sich nicht
allein gegen die libysche Armee, sondern auch
gegen Objekte der militärischen und zivilen
Infrastruktur. Heute, am 24. März 2011, haben
NATO-Flugzeuge und die USA die ganze Nacht über
und den ganzen Morgen einen Vorort von Tripolis,
Tajhura, bombardiert (in dem sich insbesondere
Libyens Atomforschungszentrum befindet).
Luftabwehr- und Luftwaffeneinrichtungen wurden
bereits in den ersten zwei Tagen der Luftschläge
zerstört und aktivere militärische Einrichtungen
in der Stadt blieben intakt, heute aber waren
Kasernen der libyschen Armee das Ziel der
Bombenangriffe, die sich in dichtbesiedelten
Wohngegenden befinden und in deren Nähe das
größte Herzzentrum Libyens liegt. Zivilisten und
Ärzte hatten keinen Anlaß davon auszugehen, daß
gewöhnliche Wohngegenden zerstört werden würden,
so hatte man weder Anwohner noch
Krankenhauspatienten evakuiert.
Bomben
und Raketen trafen Wohnhäuser und fielen in der
Nähe des Krankenhauses nieder. Die Scheiben des
Herzzentrums barsten, und auf der Wochenstation
für schwangere Frauen mit Herzkrankheiten
brachen eine Wand und Teile des Dachs zusammen.
Die Folge waren zehn Fehlgeburten, bei denen
Babies starben; die Frauen befinden sich auf der
Intensivstation, Ärzte kämpfen um ihr Leben. Wir
und unsere Kollegen arbeiten sieben Tage die
Woche, um Menschen zu retten. Dies ist die
direkte Folge von Bomben- und Missiletreffern
auf Wohngebäude, die Dutzende Todesfälle und
Verwundete nach sich ziehen, die jetzt operiert
und von unseren Ärzten in Augenschein genommen
werden. Eine so hohe Zahl Verletzter und Toter
wie heute, wurde während der ganzen Aufstände in
Libyen nicht erreicht. Und das nennt man "die
Zivilbevölkerung schützen"?
Als
verantwortungsbewußte Zeugen und Beteiligte des
Geschehens erklären wir, daß die USA und ihre
Verbündeten auf diese Weise einen Genozid gegen
das libysche Volk begehen - so wie es in
Jugoslawien, Afghanistan und dem Irak der Fall
war. Es sind Verbrechen gegen die
Menschlichkeit, die von den Koalitionstruppen
begangen werden, und sie ähneln denen der Väter
und Großväter der heutigen westlichen Führer und
ihrer Henker in Hiroshima und Nagasaki in Japan
und in Dresden, Deutschland, wo man Zivilisten
vernichtete, um den Widerstandswillen der
Menschen zu brechen (Deutschland erinnert sich
und hat sich aus dem Grund geweigert, sich an
diesem neuen Schlachthaus zu beteiligen). Heute
wollen sie auf diese Weise das libysche Volk
zwingen, ihren Führer und ihre rechtmäßige
Regierung preiszugeben und ihren nationalen
Ölreichtum fügsam den Ländern der Koalition zu
überlassen.
Uns
ist klargeworden, daß der Appell an die
"internationale Gemeinschaft", die Menschen in
Libyen und uns, die wir in Libyen leben, zu
retten, nutzlos ist. Unsere einzige Hoffnung
setzen wir auf Rußland mit seinem Vetorecht in
der UNO, und insbesondere auf seine Führung, den
Präsidenten und den Ministerpräsidenten.
Wir
hoffen nach wie vor auf Sie, wie auch in der
Vergangenheit, als wir die Entscheidung trafen,
in Libyen zu bleiben, um den Menschen hier zu
helfen - die ärztliche Pflicht stand an erster
Stelle. Nach einem vereitelten Umsturzversuch
Ende Februar beruhigte sich die Lage in Libyen
gerade wieder, und die Regierung hatte die
Ordnung erfolgreich wieder hergestellt. Jedem in
Libyen war klar, daß das Land ohne amerikanische
Intervention bald zum normalen Leben
zurückkehren würde. In der Überzeugung, daß
Rußland, das über das Vetorecht verfügt, die
Aggression der Vereinigten Staaten und ihrer
Verbündeten nicht zulassen würde, beschlossen
wir, in Libyen zu bleiben, hatten uns jedoch
getäuscht: Rußland glaubte unglücklicherweise
den falschen Versicherungen der Amerikaner und
stellte sich nicht gegen die kriminelle
Entscheidung Frankreichs und der USA.
Wir
sind Ukrainer, Russen und Weißrussen, Menschen
unterschiedlicher Berufe (hauptsächlich Ärzte),
die seit mehr als einem Jahr in Libyen arbeiten
(2 bis 20 Jahre). In dieser Zeit sind wir mit
dem Leben der Menschen in Libyen und des
libyschen Staates wohlvertraut geworden, und nur
wenige Bürger anderer Staaten leben in solchem
sozialen Wohlstand wie die Libyer. Sie haben das
Recht auf freie Behandlung, und ihre
Krankenhäuser sind nach weltbestem Stand
ausgerüstet. Die Bildung in Libyen ist
kostenlos, fähige junge Menschen haben die
Gelegenheit, auf Staatskosten im Ausland zu
studieren. Wenn sie heiraten, erhalten junge
Paare eine finanzielle Unterstützung von 60.000
libyschen Dinaren (etwa 50.000 US-Dollar). Es
gibt zinsfreie, staatliche Darlehen; und wie die
Praxis zeigt, sind sie ohne Rückzahlungsfrist.
Aufgrund von Regierungssubventionen sind die
Preise für Autos niedriger als in Europa, und
jede Familie kann sich eines leisten. Benzin und
Brot kosten eine Kleinigkeit; Menschen, die in
der Landwirtschaft arbeiten, zahlen keine
Steuern. Die Menschen in Libyen sind sehr ruhig
und friedlich, neigen nicht zur Trunksucht und
sind sehr religiös. Heute müssen die Menschen
leiden. Im Februar wurde das friedliche Leben
durch Banden von Kriminellen und verwirrten
Jugendlichen unter Drogen zerstört, die der
Westen aus bestimmten Gründen als "friedliche
Demonstranten" bezeichnete. Sie benutzten Waffen
und griffen Polizeistationen, Regierungsbüros
und Militäreinheiten an - Blutvergießen war die
Folge. Ihre Drahtzieher verfolgen ein
eindeutiges Ziel: Chaos zu verbreiten und die
Kontrolle über Libyens Öl zu erlangen. Sie gaben
der internationalen Gemeinschaft falsche
Informationen und erklärten, die Libyer kämpften
gegen das Regime. Erklären Sie uns, wer denn ein
solches Regime nicht schätzt? Wenn es ein
solches Regime in der Ukraine oder in Rußland
gäbe, wären wir nicht zum Arbeiten hier, sondern
würden den sozialen Komfort zu Hause in unseren
Ländern genießen; und ein solches Regime würde
man auf jede Weise zu erhalten suchen.
Wenn
die USA und die EU heute nichts besseres zu tun
haben, sollten sie ihre Aufmerksamkeit der Not
Japans zuwenden, dem israelischen Bombardement
Palästinas, der Dreistigkeit und Straflosigkeit
der somalischen Piraten oder dem Leid arabischer
Migranten in Frankreich. Wir sehen, daß sie aus
Libyen heute einen weiteren Irak machen wollen.
Sie verüben Genozid an einem ganzen Volk und an
denen, die sie bei ihm vorfinden. Wir erfüllen
unsere ärztliche Pflicht und Schuldigkeit und
können die Libyer nicht in Schwierigkeiten
allein zurücklassen und zulassen, daß sie von
den Streitkräften der Koalition vernichtet
werden. Darüber hinaus gehen wir davon aus, daß
die Amerikaner hier ein Blutbad anrichten
werden, wenn alle Ausländer das Land verlassen
und niemand die Wahrheit erzählt (die kleine
Belegschaft der diplomatischen Missionen wurde
schon vor längerem zum Verstummen gebracht).
Unsere einzige Überlebenschance ist eine feste,
zivil ausgerichtete Haltung Rußlands im
UNO-Sicherheitsrat.
Wir
hoffen, daß Sie Herr Präsident, und Sie, Herr
Ministerpräsident, es als Bürger Rußlands und
als ehrenwerte Menschen den amerikanischen und
europäischen Faschisten des 21. Jahrhunderts
nicht erlauben werden, das freiheitsliebende
Volk Libyens und jene, die heute mit ihm sind,
zu vernichten.
Wir
fordern daher dringend, daß Rußland sein
Vetorecht einsetzt - das Recht, das im Zweiten
Weltkrieg durch den Verlust von Millionen
Menschenleben der Menschen aus der Sowjetunion
erworben wurde -, um die Aggression gegen einen
souveränen Staat aufzuhalten und der
Bombardierung durch USA und NATO unverzüglich
ein Ende zu setzen sowie zu fordern, daß Truppen
der Afrikanischen Union in die Konfliktzone in
Libyen einziehen.
[Anmerkung: Der Delegation des Friedens- und
Sicherheitsrats der Afrikanischen Union, die
sowohl von der libyschen Regierung als auch von
den Rebellenführern als Vermittler einer
friedlichen Lösung zwischen den verschiedenen
Parteien akzeptiert worden war, wurde die
Einreise nach Libyen durch den
UNO-Sicherheitsrat verweigert. Dieser Akt hätte
von Rußland und China gerügt werden müssen, und
sie sollten die AU-Resolutionen sowie das Mandat
studieren und deren weise Entscheidung
unterstützen.]
Hände weg von Libyen!
Mit
Respekt und Hoffnung,
an
Ihre Weisheit und Rechtschaffenheit,
Bürger
der Ukraine, Weißrußlands und Rußlands,
vor
Ort in Libyen
Bordovsky S., Vasilenko S., Vegerkina A., Henry
IV, Henry H., L. Grigorenko, DraBragg A., Drobot
V. Drobot N., Yemets E., Kolesnikova T., Kuzin
I., Kuzmenko B., Kulebyakin V., Kulmenko T.,
Nikolaev AG, Papelyuk V., Selizar V., Selizar
About, Smirnov O., Smirnova R., Soloviev DA,
Stadnik VA, Stolpakova T., Streschalin G.,
Stakhovich Yu, Sukacheva L., Sukachev V.,
Tarakanov T., Tikhon N., Tikhonov VI, Tkachev
AV, Hadareva E., Tchaikovsky O., Chukhno D.,
Chukhno O., Yakovenko D. et al
Sammlung der Unterschriften unter dem Appell an
die russische Führung und unter der Forderung
eines Internationalen Tribunals in Den Haag über
die Verbrechen der USA und der NATO in Libyen.
Übersetzung aus dem Englischen - englische
Fassung einsehbar unter:
http://rickrozoff.wordpress.com/2011/03/28/updates-on-libyan-war-march-28/
bzw. http://rickrozoff.wordpress.com/?s=open+letter+from+Russian+Doctors+in+Libya
Link
zur russischen Originalfassung des Offenen
Briefs:
http://meast.ru/article/otkrytoe-pismo-rossiiskikh-vrachei-v-livii-prezidentu-rossiiskoi-federatsii
Quelle:
Offener Brief russischer Ärzte in Libyen
an den Präsidenten und den Ministerpräsidenten
der Russischen Föderation
Tripolis, Libyen - 24. März 2011
http://rickrozoff.wordpress.com/2011/03/28/updates-on-libyan-war-march-28/
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem
Englischen
veröffentlicht im
Schattenblick zum 29. März 2011
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