Die Wahlsieg-Leugner
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Jahre ist es her, da durften die Deutschen
letztmalig ihr Staatsoberhaupt wählen. Seitdem
kungeln die hierzulande Herrschenden den
Präsidenten unter sich aus. Von Diktaturen und
Monarchien abgesehen, ein ziemlich einzigartiges
Verfahren. In nahezu allen Demokratien wird der
Staatspräsident vom Volk gewählt. Erst das gibt
ihm Autorität und Legitimität. So hätten deutsche
Politiker eigentlich mucksmäuschenstill sein
müssen, als im Juni die Iraner in direkter Wahl
über ihren Staatschef abstimmten. Allein die
Frage, warum die Bundesbürger ein solches Recht
nicht besitzen, wäre zu diskutieren gewesen.
Doch unsere Politiker haben weder Erklärungsbedürfnis noch gar einen
Minderwertigkeitskomplex. Sie zählen zu jener
Sorte Mensch, über die es in der Bergpredigt
heißt: Warum siehst du den Splitter im Auge deines
Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst
du nicht? Also hörten die Iraner aus Berlin nicht
etwa Lob für ihre Demokratie, sondern heftige
Kritik. Einziger nachvollziehbarer Grund: Es hat
der "Falsche" gewonnen (was hierzulande schwerlich
passieren kann). Bundesaußenminister Frank-Walter
Steinmeier bestellte umgehend den iranischen
Botschafter ein und las ihm die Leviten.
Steinmeiers SPD hatte es kurz zuvor bei der Europawahl auf 20 Prozent
gebracht - genauer: auf etwa neun Prozent der
Wahlberechtigten. Macht aber nichts. 91 Prozent
des Volkes nicht hinter sich zu haben, das nennt
man in Deutschland "Regierungsauftrag". Verbunden
mit der Vollmacht, anderen Ländern die Demokratie
zu erklären.
Da können die Iraner noch einiges lernen. Ihnen war im Mai anläßlich der
Bundespräsidentenkür überhaupt nicht eingefallen,
den deutschen Botschafter auch nur vorsichtig um
Auskunft zu bitten, weshalb das Volk dabei ohne
Stimme ist. Und warum sich dasselbe Volk zu
gewissen Themen nicht frei äußern darf (im Iran
gehen selbst Wahlsieg-Leugner straffrei aus).
Umgekehrt keine höfliche Zurückhaltung. Sogar über
die iranische Polizei mokiert sich Steinmeier,
weil diese partout nicht einsehen will, daß
Brandstiftung und Randale zu den unveräußerlichen
Menschenrechten zählen.
Glücklicherweise stehen die "Opfer" nicht allein. Schon wenige Stunden
nach der für sie so enttäuschenden Wahl tauchten
nicht nur in Teheran, sondern weltweit
gleichlautende Plakate auf: "Where is my vote?"
("Wo ist meine Stimme?") Seitdem wissen wir, daß
die Iraner englisch sprechen. Oder die Plakatmaler
nicht persisch. Jedenfalls war man auf das
Wahlergebnis international gut vorbereitet.
Georgien und die ukrainische "Orangen-Revolution" lassen grüßen! Per
Internet kommandieren Geheimdienste und globale
Einflußzirkel wie das "Open Society Institute" des
George Soros ganze Bürgerkriegsbrigaden dort, wo
sich noch nicht alle mit der neuen Weltordnung
angefreundet haben. An Geld fehlt es nicht. Allein
in Rußland hat Soros laut eigenen Angaben mehr als
eine Milliarde US-Dollar für den
"gesellschaftlichen Wandel" ausgegeben. Im Iran
kostet es höchstens ein paar Milliönchen, um
mittellose Schüler und Studenten auf die Straße zu
treiben. Eine in San Francisco ansässige
Kapitalgesellschaft namens "Twitter" erledigt die
Mobilmachung über Handy. Kürzlich geplante
Wartungsarbeiten am Netz wurden auf Wunsch Obamas
verschoben, um den Kommunikationskrieg gegen den
Iran nicht zu beeinträchtigen.
Auch Charlotte Knobloch hat sich eingeschaltet. Die in München ansässige
Zentralratspräsidentin bezichtigt Teheran, "seinen
Platz in der Gemeinschaft zivilisierter Völker
verspielt" zu haben. Kurzum: Feuer frei! Was dabei
allenfalls noch irritiert: Im Iran leben
Zehntausende von Juden, die sich unter dem
"grausamen und menschenverachtenden Regime" (O-Ton
Knobloch) aus unerfindlichen Gründen wohlfühlen.
Sie betreiben dort eigene Schulen, Krankenhäuser,
koschere Restaurants und allein in Teheran 30
Synagogen. Sogar im iranischen Parlament sitzen
sie. Nirgendwo sonst im Nahen und Mittleren Osten
gibt es außerhalb Israels eine so große und
blühende jüdische Gemeinde. Und das unter dem
"Antisemiten" Ahmadinedschad.
Gut: In Deutschland sieht es diesbezüglich noch besser aus. Was sich
übrigens auch bei der Wiederernennung des
Bundespräsidenten zeigte. Denn ein wenig Volk war
schon dabei - verkörpert durch Charlotte Knobloch.
Sie durfte als CSU-Wahlfrau die
"Bundesversammlung" bereichern. Und siehe da: Nur
eine Stimme weniger, und Horst Köhler hätte die
absolute Mehrheit verfehlt. Ganz so knapp geht es
im Iran nicht zu.
Harald Neubauer
Quelle:
Nation & Europa
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