Privatisierungszug rast in den Abgrund:
Der verkaufte Staat
Als die Deutsche Bahn 1984 in eine
Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, spürten dies
zuerst die Beschäftigen: Rigoros baute die neue
Führung Stellen ab. Jetzt will der Staat die
Privatisierung der Bahn vorantreiben und ganze
Unternehmensteile verkaufen. Ab November soll die
DB-Aktie an der Börse notiert werden. Bisher läuft
es gut für Mehdorn & Co: Im August konnte das
Unternehmen eine Gewinnsteigerung um 8,2 Prozent
vermelden. Das Betriebsergebnis stieg damit um 90
Millionen auf 1,4 Milliarden Euro.
Eine gute Gelegenheit, die Kunden zu entlasten?
Theoretisch ja. Statt dessen aber wurden
Fahrpreiserhöhungen um durchschnittlich 3,9
Prozent angekündigt. Sogar ein "Bedienzuschlag"
sollte eingeführt werden für Fahrgäste, die ihre
Tickets nicht am Automaten oder im Internet,
sondern am Schalter kaufen. Allerdings war in
diesem Fall der öffentliche Protest so stark, daß
Bahnchef Hartmut Mehdorn einen Rückzieher machen
mußte. Aber fraglos wird dieser Einnahmeausfall
(etwa 50 Millionen Euro) demnächst an anderer
Stelle ausgeglichen werden.
"Übelste Abzocke"
Nicht nur die FDP, die sich immerhin als Partei
des freien Unternehmertums versteht, betrachtet
die Fahrpreiserhöhung als "Frechheit". Schließlich
ist die Bahn nicht defizitär, sondern fährt jedes
Jahr Milliardengewinne ein. Auch der
GrünenVorsitzende Fritz Kuhn sieht "übelste
Abzocke", die allein die "Profitgier privater
Investoren befriedigen" soll. Die Fahrgäste würden
geschröpft, um den Börsengang der Bahn für die
Anleger attraktiv zu machen.
Doch nicht das ganze Unternehmen wird
verscherbelt. Der Staat behält das Schienennetz
mit seinen hohen Unterhalts- und
Instandsetzungskosten. Was davon allerdings in
einigen Jahren noch übrig bleibt, weiß niemand so
ganz genau, denn der Bund erlaubt der Bahn, jedes
Jahr bis zu 1700 Kilometer davon abzubauen, das
sind jährlich fünf Prozent des gesamten
Schienennetzes. Auf der Stecke bleiben
"unrentable" Verbindungen. Trotz ihrer asozialen
Politik muß die Bahn AG aber nicht auf die
jährlichen Zuschüsse des Bundes von 2,5 Milliarden
Euro verzichten.
Mit der Privatisierung ist ein sozialer und
versorgungsrechtlicher Systembruch verbunden. Weil
Bahnbeamte unkündbar sind, hat sich der Bund
gegenüber dem Konzern verpflichtet, für deren
Vergütung aufzukommen - auch wenn die Bahn die
Betroffenen nicht mehr benötigt. Anders
ausgedrückt: Die Unternehmensgewinne werden
privatisiert, die Gehaltskosten der Allgemeinheit
aufgedrückt.
Teurer Systembruch
Die Bahn ist kein Einzelfall. Allein dieses Jahr
erwartet sich die Bundesregierung zehn Milliarden
Euro aus der Verwertung von staatlichen
Beteiligungen. Niemand fragt nach den meist
international agierenden Profiteuren, kaum einer
kennt sie, niemand weiß genau, wer sie lenkt und
welche Motive dahinter stehen. Die Bürger selbst
stehen der Privatisierung hilflos gegenüber, ihr
Bedürfnis nach Sicherheit, nach einem Staat, der
sie beschützt und fördert, wird auf dem Altar der
Börsenwirtschaft geopfert.
Waren es anfangs noch Anteile aus staatlich
dominierten Firmen wie Post, Lufthansa, Volkswagen
und Hamburger Hafen, die privaten Investoren zum
Kauf angeboten wurden, werden jetzt auch zunehmend
hoheitliche Aufgaben wie Bildung und Sicherheit
als verkäufliche Güter in die Auslage gestellt.
Die oberste Verantwortung für die öffentliche
Daseinsvorsorge sollte aber nach wie vor der Staat
haben, nicht private Geschäftsleute. Dies gilt vor
allem für sensible Bereiche wie Bildung und
Sicherheit. Doch mittlerweile gibt es fast schon
900 000 Schüler, deren Eltern es sich leisten
können, ihre Kinder auf nicht-staatliche Schulen
zu schicken. Die Zahl hat sich seit 1992 nahezu
verdoppelt. Jene Kinder müssen keine Schulen
besuchen, in denen der Ausländeranteil bereits
vielfach die 50-Prozent-Grenze durchstoßen hat.
Mit der Privatisierung der Bildung hat der Staat
für Gutverdienende ein Schlupfloch und damit
ungleiche Ausgangschancen für den Nachwuchs
geschaffen. Darüber hinaus wird politische
Ignoranz abseits des öffentlichen Raumes erzeugt:
Wer von der Überfremdung nicht unmittelbar
betroffen ist, hält das Problem für nicht so
wichtig.
Ähnliches gilt für die Sicherheit im öffentlichen
Raum, hier nimmt die Gewalt, die überproportional
von Migranten ausgeht, extrem zu. Der Normalbürger
kann sich keinen Wachdienst leisten, keinen
gesicherten Wohnraum bezahlen. Er muß Plätze,
Straßen, Bahnhöfe betreten, wo sich die Täter ihre
Opfer suchen. Gutverdienende Politiker und Manager
bekommen erst dann etwas mit, wenn selbst für
linke Medien die Grenze des noch zu Tolerierenden
überschritten ist. Die Polizei klagt über
fehlendes Personal, private Wach- und
Sicherheitsdienste müssen einspringen, haben aber
keinen Status, der ihnen ausreichende Autorität
verschafft.
Flächendeckende Aufweichung
Mit den Beschlüssen der Innenministerkonferenz aus
dem Jahr 2000 wurden private
Sicherheitsunternehmen als wichtiger Bestandteil
der inneren Sicherheit und der Kriminalprävention
bezeichnet. Damit wurde der gekauften Sicherheit
Tür und Tor geöffnet, die Ungleichheit befördert.
Eigentlich sind solche Aufgaben untrennbar mit der
Staatlichkeit und mit dem Gedanken der Solidarität
verbunden. Dieser Grundsatz wird aber nicht nur
bei der Polizei, sondern flächendeckend
aufgeweicht: Auch Teile der Bundeswehr wie die
Beschaffung, das Gebäude- und Flottenmanagement
sind mittlerweile in die Hände privater Investoren
gegeben. Im Grundgesetz, Artikel 87 b, heißt es
(wie übrigens auch hinsichtlich der Eisenbahn):
"Die Bundeswehrverwaltung wird in bundeseigener
Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau
geführt." Tatsächlich aber werden private
Investoren zunehmend in sicherheitsrelevante
Tätigkeitsbereiche eingebunden. Das weicht den
administrativen Kern des Staates auf, seine
Möglichkeit zur inneren und äußeren Gefahrenabwehr
wird in Frage gestellt.
Auch die Behauptung, daß Privatisierung den Bürger
finanziell entlastet, erweist sich in den
wenigsten Fällen als richtig. Fast nichts ist
günstiger geworden, sei es die Müllabfuhr, der
Strom oder der öffentliche Nah- und Fernverkehr.
Mag auch das Telephonieren pro Zähleinheit
billiger geworden sein, so wird man jetzt mit
Werbeanrufen gequält, und nicht wenige, vor allem
junge und alte Menschen landen in der Kostenfalle.
Zugleich werden Arbeitsplätze zu Zigtausenden
vernichtet oder ins Ausland verlagert, nicht
zuletzt bei den ehemaligen Staatsunternehmen.
Während die einen däumchendrehend zu Hause sitzen
oder von den Arbeitsagenturen für ein paar Cent an
die boomende Zeitarbeitsbranche verwiesen werden,
steigen die Vorstandsgehälter der
Aktiengesellschaften: Josef Ackermann (Deutsche
Bank) 14 Millionen jährlich, Dieter Zetsche
(Daimler-Gruppe) zehn Millionen, Wolfgang Reitzle
(Linde) acht Millionen. Damit sind die
Vorstandsgehälter in Deutschland Weltspitze, noch
vor den USA, die bislang als Rekordhalter und
Maßstab galten. Bahn-Chef Hartmut Mehdorn streicht
mehr als drei Millionen Euro ein, wobei ein Teil
als "Erfolgsprämie" deklariert ist - was praktisch
bedeutet: Je höher die Fahrpreise, desto besser
für Mehdorns Portemonnaie. Die Privatisierung wird
diesen Trend gewaltig verstärken.
Unheilvolle Ehe
Porsche-Chef Wendelin Wiedeking reichen gar seine
56 Millionen nicht, er wird demnächst - wenn man
den Wirtschaftsmagazinen glauben darf - die
100-Millionen-Grenze überschreiten, wohlgemerkt
als Angestellter, der für das
Unternehmensschicksal nicht persönlich haftet.
Rund 274 000 Euro pro Tag, mehr als 30 000 Euro
die Arbeitsstunde. Wer sich darüber wundert, muß
sich als "Neidhammel" abfertigen lassen.
Wiedekings Gehaltssprung wird mit Porsches
Einstieg beim teilstaatlichen VW-Konzern
begründet.
Während sich die "Eliten" die Taschen vollstopfen,
wissen viele Normaldeutsche nicht mehr, wie sie
ihr Existenzminimum sichern können. Allein in den
vergangenen sechs Jahren sind die Energiekosten um
mehr als 50 Prozent gestiegen. Dabei muß man
wissen, daß die Kosten für die Haushalte im
Vergleich zu den Importkosten um das Doppelte
gestiegen sind. Die alibisierend eingeschalteten
Regulierungsbehörden zeigen sich hilflos.
Privatisierungswahn und eine kurzsichtige
Energiepolitik, die Deutschland zielstrebig von
Importen abhängig macht, sind eine unheilvolle Ehe
eingegangen. Wird nach der Verantwortung gefragt,
bezichtigen sich die Akteure augenzwinkernd
gegenseitig, um zugleich weiterzumachen wie
bisher. Über die Klagen der Betroffenen wird
hinweggegangen nach dem Motto: Es muß reichen,
wenn wir darüber gesprochen haben.
Der Rückzug von Bund, Ländern und Kommunen aus den
öffentlichen Versorgungspflichten ist ein
ordnungspolitischer Skandal erster Güte. "Vater
Staat", der für seine Kinder sorgen soll, entpuppt
sich als Rabenvater. Er delegiert seine ureigenen
Aufgaben an Dritte, die nicht an das
Gemeinschaftsinteresse gebunden sind, sondern dem
eigenen Profit dienen. Kein Wunder, daß parallel
zu dieser Entwicklung kommunistisches Gedankengut
wieder in Mode kommt und "Die Linke" bei Wahlen
eine Menge Proteststimmen einsammelt. Die
entfesselte "Liberalisierung" gefährdet nicht nur
aus sich selbst heraus das gemeinschaftliche
Wohlergehen; sie erzeugt auch Gegenkräfte, die
Teufel mit Beelzebub austreiben wollen.
Gefahr der Erpressung
Verliert der Staat seine Kraft, die öffentlichen
Aufgaben zu bewältigen, verschwindet seine
Möglichkeit, das Gemeinwesen sozial zu gestalten.
Außerdem kann man die Dinge nur einmal verkaufen.
Auf Dauer verliert der Staat durch
Privatisierungen große und stetige
Einnahmequellen. Zumindest der Geist des
Grundgesetzes wird verletzt.
Bundesverfassungsrichter Siegfried Broß sieht die
Gefahr, daß der Staat erpreßbar wird. Über
weltweite Ausschreibungen öffentlicher Aufgaben
könnten undurchsichtige Eigentümerstrukturen
entstehen, Staat und Volkswirtschaft schwer
schädigen. Gerade deshalb sei der Weg im 19.
Jahrhundert noch umgekehrt verlaufen, erinnert
Broß: von der Privatbahn zur Staatsbahn.
Was bei der ohnehin kaum stattfindenden Debatte
ebenfalls vergessen wird: Die Besitztümer des
Staates sind eigentlich Eigentum des Volkes. Die
Bahn und andere Infrastruktur-Einrichtungen wurden
mit Steuergeldern gebaut. Den Bürgern nun in
Aussicht zu stellen, sie könnten - neben den
großen und bestimmenden Investmentfonds -
"Bahneigentümer" durch Aktienerwerb werden, läuft
auf doppeltes Abkassieren hinaus. Am Ende ist der
"kleine Mann" - siehe Telekom-Aktie - stets der
Dumme. Die sogenannte "Deutschland AG" mag für
einige wenige Zeitgenossen profitabel sein, als
Staatsersatz taugt sie nicht.
Dr. Michael Mayer
Quelle:
Nation & Europa
Okt 2008 (S. 24-28) |