Wie man "politische Kriminalität" erfindet:
Statistik-Lüge gegen Rechts
Nicht
nur im Sport sind Rekorde immer für Schlagzeilen
gut. Nach dem altbewährten Motto, daß nur
schlechte Nachrichten gute Nachrichten sind,
eignen sich auf anderen Feldern Negativ-Rekorde
sogar noch besser, um verkaufsfördernde
Aufmerksamkeit zu erregen. Im Wissen um die
Erfolgsgeheimnisse moderner Propaganda
("Öffentlichkeitsarbeit") lud das
Bundesinnenministerium sinnigerweise am 20. April
zu einer Pressekonferenz, um aktuelle Zahlen zur
"politisch motivierten Kriminalität" zu
veröffentlichen. Nur ein paar Stunden später
wimmelte es von Meldungen und Berichten, die in
trauter Eintracht einen "Rekordstand" in diesem
Bereich verkündeten.
Unbekannte gelten als "Rechte"
Vergleicht man, was "Spiegel", "Focus", "Stern", "Welt", "Zeit" und
andere "Qualitätsmedien" über jene Neuigkeit zu
berichten haben, und legt man dann noch die
offizielle Pressemitteilung des Schäuble-Ressorts
daneben, so fällt folgendes auf: Die Berichte sind
nahezu deckungsgleich. Zentrale Daten und Zahlen
werden referiert, dazu die Einschätzungen des
Ministeriums. Marginale Unterschiede existieren in
den Formulierungen und in der Reihenfolge, hier
gibt es eine Information mehr, dort eine weniger.
Teils werden ganze Passagen aus der offiziellen
Pressemitteilung wortwörtlich wiedergegeben.
Grundsätzlich fehlen eigene ergänzende Recherchen,
Kommentare regierungsunabhängiger Stellen oder
etwa die Beleuchtung von Hintergründen, die zum
besseren Verständnis der dargestellten
Sachverhalte führen. Schon angesichts dieses
Befundes drängt sich die Frage auf, ob es das ist,
was ein mündiger Bürger von den führenden
"unabhängigen" Medien seines Landes erwarten darf.
Richtig fragwürdig wird das Ganze dann, wenn Informationen, die aus der
Quelle noch korrekt fließen, in den Medien
verfälscht wiedergegeben werden. So breiten
Berichte genüßlich aus, daß von den insgesamt im
Jahr 2008 registrierten 31 801 Straftaten allein
20 422 "rechts" motiviert gewesen seien, deutlich
mehr als im Vorjahr. "Eine der Ursachen für diesen
Anstieg ist laut Innenministerium auch die zum 1.
Januar 2008 eingeführte bundesweite Erfassung von
sogenannten Propagandadelikten. Die sind zum
Beispiel Hakenkreuz-Schmierereien und die
Benutzung von Symbolen aus der NS-Zeit", erklärt
seinen Lesern der "Spiegel". Und führt sie damit
auf den Holzweg. Denn neu ist nicht die
"bundesweite Erfassung" dieser Delikte. Sondern
der Unterschied zur vorherigen Praxis ist, "daß
seit Anfang 2008 von Unbekannten verübte
Propaganda-Delikte diesem Bereich zugeordnet
würden", wie die "Rheinische Post" korrekt
berichtet (Hervorhebung durch N&E).
Lediglich Denkvorschriften verletzt
Dazu muß man wissen, und das fiel in der medialen Aufbereitung nicht
selten unter den Tisch, daß eben diese
Propagandadelikte fast 70 Prozent der "rechten"
Straftaten ausmachen. Hinzu kommt, daß die
Aufklärungsquote in diesem Bereich, wie das
Ministerium selbst zugibt, äußerst gering ist, so
daß wohl der Löwenanteil auf "unbekannte" Täter
entfällt. Linke Propagandadelikte gibt es übrigens
nicht, das Verwenden von Sowjetsternen,
Hammer-und-Sichel-Logos oder Anarcho-Symbolen ist
nicht strafbar, das Absingen von kommunistischen
Kampfliedern ebenfalls nicht.
Wollte man sich also an das Wagnis eines nahezu realistischen Vergleichs
"linker" und "rechter" politisch motivierter
Kriminalität machen, so müßten zunächst auf der
rechten Seite die Propagandadelikte abgezogen
werden. Von den 20 422 rechten Straftaten würden
dann nur noch 6147 übrigbleiben, denen stehen 6724
Delikte auf der linken Seite gegenüber. Übrigens
werden unter die Propagandadelikte ausschließlich
die Verwendung bzw. Verbreitung von Kennzeichen
und Propagandamitteln verfassungswidriger
Organisationen nach den Paragraphen 86 und 86a
StGB gerechnet. "Volksverhetzung" nach § 130 ist
hier noch gar nicht dabei.
Wodurch wird eine Tat politisch?
Wie viele Volksverhetzungsdelikte 2008 in die Statistik "PMK - rechts"
eingegangen sind, will das Ministerium nicht
verraten, gibt sich auch sonst sehr zugeknöpft und
verstößt damit eklatant gegen die rechtlich
gebotene Auskunftspflicht der Behörden gegenüber
den Medien. Im Hause Schäuble wird man wissen, was
man zu verbergen hat - und aus welchen Gründen.
Einen Anhaltspunkt gibt die Zahl des Vorjahres.
2007 wurden 2472 "Volksverhetzungsdelikte"
aktenkundig. Sollte die Anzahl für 2008 sich in
ähnlicher Größenordnung bewegen und würde man
diese aufgrund ihrer Fragwürdigkeit ebenfalls in
Abzug bringen, kann sich jeder selbst ein Bild
machen, was von den ursprünglich über 20000
"rechten Straftaten" noch übrigbleibt.
Kritische Überlegungen zum Entstehen der Statistik sind in den
etablierten Medien tabu, denn um den "Kampf gegen
Rechts" zu legitimieren, eignet sich eine hohe
rechte Kriminalität natürlich besser als eine
niedrige. Hinter der Verschleierung des Umstands,
daß von Unbekannten verübte Hakenkreuz-Kritzeleien
u.ä. seit 2008 grundsätzlich "rechts" verbucht
werden, muß man also nicht unbedingt
journalistische Nachlässigkeit vermuten. Die
dieser Verfahrensweise zugrundliegende
Entscheidung der Länder-Innenminister wird nämlich
doppelt fragwürdig, wenn man sich anschaut, wie
"politisch motivierte Kriminalität" überhaupt
definiert wird. Das erst 2001 eingeführte
Meldesystem beruht auf folgender Grundlage:
"Zentrales Erfassungskriterium dieses Meldesystems
ist die politische Motivation einer Tat. Als
politisch motiviert gilt eine Tat insbesondere
dann, wenn die Umstände der Tat oder die
Einstellung des Täters darauf schließen lassen,
daß sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer
politischen Einstellung, Nationalität,
Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion,
Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung,
Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes
beziehungsweise ihres gesellschaftlichen Status
richtet.
Die erfaßten Sachverhalte werden im Rahmen einer
mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen
Gesichtspunkten bewertet. Hierbei werden
insbesondere Feststellungen zur Qualität des
Delikts, zur objektiven thematischen Zuordnung der
Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zur möglichen
internationalen Dimension der Tat und zu einer
gegebenfalls zu verzeichnenden extremistischen
Ausprägung der Tat getroffen. In diesem
Zusammenhang wurde auch der Bereich der
Gewaltdelikte erweitert und bundeseinheitlich
festgelegt." (Bundesministerium des Inneren
[Hrsg.]: Verfassungsschutzbericht 2006. Berlin
2007, S. 30)
Rein logisch ist es unmöglich, bei unbekannter Täterschaft die politische
Motivation zu erschließen, also das "zentrale
Erfassungskriterium dieses Meldesystems". Mit der
seit 2008 geübten Praxis verstoßen die
Innenminister gegen die von ihnen selbst
festgelegte Definitionsgrundlage. Auch dies ist
unseren "unabhängigen Qualitätsmedien" bisher
keine kritische Bemerkung wert gewesen.
Die Einführung des neuen "Kriminalpolizeilichen Meldedienstes - Politisch
motivierte Kriminalität" (KPMD-PMK) im Mai 2001
verdankt sich ausschließlich dem Bestreben, die
Zahl "rechtsextremistischer" Straftaten
statistisch in die Höhe zu treiben. Bei dem
Vorgänger-System war noch entscheidend, daß die
erfaßten Straftaten mit dem Ziel der
"Systemüberwindung" begangen wurden, die neue
Definition hingegen läßt eine wesentlich breitere
Erfassungsbasis zu.
Betrachtet man nun, wie die Statistik zustande kommt, treten eine Reihe
weiterer potentieller Fehlerquellen zutage.
Zunächst einmal: Eingehen in die Statistik können
nur Delikte, die zur Anzeige gebracht wurden oder
auf die die Polizei im Rahmen ihrer Tätigkeit
selbst stößt. Ob eine Tat als "politisch
motiviert" einzustufen ist, bewertet der
ermittelnde (Staatsschutz-)Beamte vor Ort.
Natürlich kann er dies nicht nach Lust und Laune
tun, sondern hat dafür "Richtlinien" anzuwenden,
die von der Innenministerkonferenz
bundeseinheitlich festgelegt wurden.
Richtlinien lassen allerdings immer auch Auslegungsspielräume zu, die so
oder so genutzt werden können. Denkbar sind hier
auch Anweisungen von vorgesetzten Stellen, die
durch die Hierarchie-Ebenen schriftlich oder
mündlich bis an das jeweils letzte Glied der Kette
durchgereicht werden. Daß es bestimmte
Soll-Vorgaben zu erfüllen gibt, ist ja aus anderen
Bereichen - z.B. Bußgelder für
Verkehrs-Ordnungswidrigkeiten - durchaus geläufig.
Geheimnisvolle Zuordnung
Auf welcher Grundlage der einzelne Beamte seine Zuordnung trifft, wird
von den Behörden wie eine geheime
Staatsangelegenheit behandelt. Die ursprünglichen
Erfassungskriterien und Verfahrensregelungen
wurden im Oktober 2003 und im Januar 2004 nochmals
abgeändert - was dies aber konkret bedeutet,
bleibt dunkel. Es ist schon raffiniert: An die
große Bedrohung von rechts sollen alle Bürger
glauben, denn die wird ja schließlich von der
Statistik "belegt". Interessiert man sich jedoch
für die Entstehungsbedingungen und -abläufe dieser
Statistik, beißt man ganz schnell auf Granit.
Immerhin soviel ist bekannt: Meint ein Beamter, eine "politisch
motivierte" Straftat registriert zu haben, meldet
er diese mit einer "Kriminaltaktischen Anfrage"
(so heißt das im Amtsdeutsch) an das zuständige
Landeskriminalamt weiter. Dort wird geprüft, ob
die Erfassungskriterien richtig angewandt wurden;
und wenn ja, erfolgt eine Weitermeldung an das
Bundeskriminalamt. Auch neue Ermittlungsergebnisse
oder der Abschluß eines Ermittlungsverfahrens
finden auf demselben Weg Eingang in die Statistik.
Berichtigungen bleiben fast immer aus
Allerdings - und hier offenbart sich eine weitere potentielle
Fehlerquelle - sind die Polizeibehörden nicht
verpflichtet, den juristischen Fortgang eines
Ermittlungsverfahrens zu verfolgen und
weiterzumelden. Wird zum Beispiel ein
"rechtsextremistischer Straftäter" aus Mangel an
Beweisen freigesprochen, oder stellt sich heraus,
daß seine Tat gar nicht politisch motiviert war,
hängt es vom Zufall ab, ob die Polizei davon
Erkenntnis erhält und eine Korrekturmeldung auf
den Weg bringt.
Nehmen wir das "Attentat" auf Alois Mannichl. Obwohl mittlerweile
erhebliche Zweifel an der vom Passauer
Polizeidirektor gelieferten Version zum Tathergang
bestehen, ist der Vorfall erst einmal als
politisch motivierte "rechtsextremistische"
Gewalttat statistisch erfaßt worden. Sollte sich
irgendwann herausstellen, daß es keine solche war,
wird es in diesem Fall die Öffentlichkeit wohl
noch erfahren. Doch wie viele statistische
Korrekturen im Nachhinein werden unbemerkt
bleiben, weil die Fälle nicht so spektakulär sind
und ihre Neubewertung nicht in einer großen
Pressekonferenz verkündet wird?
Und damit ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Denn oft
werden gewalttätige Ausschreitungen statistisch
nur als eine einzige Tat erfaßt, wie im
Kleingedruckten aktueller
Verfassungsschutzberichte nachzulesen ist. So
finden zum Beispiel militante Antifa-Aktionen zur
Verhinderung einer genehmigten "rechten"
Veranstaltung nur als eine einzige Straftat
Eingang in die Statistik, selbst wenn in ihrem
Verlauf unzählige Sachbeschädigungen,
Brandstiftungen, Körperverletzungen,
Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte
etc. verübt werden. Bekanntlich finden solche
Aktivitäten ausschließlich von links gegen rechts
statt. Daß Rechte jemals ein paar hundert
Gewaltbereite mobilisiert hätten, um eine
Veranstaltung Andersdenkender zu verhindern, ist
bisher nicht vorgekommen. Das bedeutet: "Rechts"
entspricht in aller Regel einer statistisch
erfaßten Tat auch eine tatsächliche, während sich
"links" hinter einer Tat in der Statistik nicht
selten ganze Gewaltorgien mit zahlreichen
Gesetzesverstößen quer durch das Strafgesetzbuch
verbergen.
Kumpanei mit den Mächtigen
Betrachtet man alle genannten Ungereimtheiten und Fragwürdigkeiten dieser
Statistik im Zusammenhang, bleibt unter dem Strich
ein erheblich schiefes Bild und - was die rechte
Seite anbelangt - "viel Rauch um nichts". Wieder
einmal hat die Regierung ein paar
Propaganda-Botschaften ausgestreut, und wieder
einmal hat sich die etablierte Presse in die Rolle
des willigen Vermittlers gefügt. Kritischer
Journalismus? Da lachen nicht einmal mehr die
Hühner. Die bundesdeutschen Massenmedien - im
Selbstbild immer noch das "Korrektiv", der
furchtlose Entdecker von Skandalen und
Fehlentwicklungen, das Gewissen der Nation - haben
sich in weiten Teilen in eine feige und bequeme
Kumpanei mit den Mächtigen begeben. Und wenn schon
über neue Rekorde sinniert werden soll, könnte man
sich ja mal das dynamische Wachstum
charakterlicher Verkommenheit unter
bundesdeutschen Polit- und Medien- "Eliten"
anschauen: ein ganz heißer Anwärter.
Detlev Rose
Quelle:
Nation & Europa
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