„Müssen die Siegermächte auf alle Ewigkeit die Welt
beherrschen?“
In
einem Interview, das vor Kurzem im
Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« veröffentlicht
wurde, enthüllte der iranische Präsident die
heuchlerische Politik der USA und Europas. Er
sprach dabei vieles aus, was bei uns als politisch
unkorrekt gilt.
„Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich würde mein Leben
dafür geben, dass Sie diese äußern dürfen.“ Diese
Worte, die dem berühmten französischen
Schriftsteller und Philosophen Voltaire
zugeschrieben werden, gelten heute nur noch für
sehr wenige Medien. Meist werden von ihnen
altbekannte und oft einseitige Positionen
vertreten. „Andersdenkenden“ wird kaum noch eine
Plattform für deren Ansichten geboten, was ein
weiteres Zeichen unserer untergehenden
„Medien-Demokratie“ ist.
Als einer der „Hauptfeinde“ hat man sich in der westlichen (Medien)-Welt
auf den iranischen Präsidenten Mahmud
Ahmadinedschad (52) eingeschossen. Seit dieser das
Existenzrecht Israels in Frage gestellt hat, ist
er überall in Ungnade gefallen.
Obwohl die politischen Gutmenschen aller Couleur nicht müde
werden zu behaupten, dass es wichtig ist, zu reden
und nicht Kriege zu führen, scheint dies für
Ahmadinedschad nicht zu gelten. Deshalb ist dem
Spiegel
dafür zu danken, dass er die Aussagen des
iranischen Präsidenten unzensiert veröffentlichte,
damit sich jeder ein ungetrübtes Bild machen kann.
Man muss kein Anhänger des iranischen Hardliners sein, aber
einige seiner Antworten machen nachdenklich und
halten der heuchlerischen, imperialen Politik der
USA und deren europäischen Vasallen im wahrsten
Sinne des Wortes einen „Spiegel“ vors Gesicht.
Ahmadinedschad zur Politik der USA:
„Das Ansehen einer Nation in der Welt (hängt) nicht von
Waffen und militärischer Stärke ab – genau das
haben wir der früheren amerikanischen Regierung
immer gesagt. Der große Fehler des George W. Bush
war, dass er alle Probleme militärisch lösen
wollte. Die Zeit ist vorbei, in der man anderen
Völkern Weisungen erteilen kann. Heute braucht die
Menschheit Kultur, Gedankengut und Logik (…) Sie
wissen, nicht wir haben die Beziehungen zu Amerika
abgebrochen, Amerika hat die Beziehungen zu uns
abgebrochen. Was erwarten Sie denn jetzt von Iran?
(…) Die amerikanische Regierung muss endlich
Lehren aus der Vergangenheit ziehen (…) Glauben
Sie, dass mit militärischer Gewalt und Invasion
Probleme gelöst werden können?“
… zur Lösung des Konfliktes in Afghanistan:
„Bis heute wurden mehr als 250 Milliarden Dollar für den
Militäreinsatz in Afghanistan ausgegeben. Bei
einer Bevölkerung von 30 Millionen Menschen sind
das gut 8.000 Dollar pro Kopf, für die
durchschnittliche fünfköpfige Familie beläuft sich
das auf fast 42.000 Dollar. Man hätte für das
afghanische Volk Fabrikanlagen errichten,
Universitäten gründen, Straßen bauen und Felder
bestellen können. Wenn das geschehen wäre, gäbe es
da noch einen Raum für Terroristen? Man muss das
Problem an der Wurzel lösen, nicht gegen die
Zweige vorgehen. In Afghanistan gibt es keine
militärische, nur eine humanitäre Lösung (…) Die
Amerikaner kennen die Region nicht, die
Wahrnehmung der Nato-Spitze ist verfehlt.“
… zum Rauschgiftanbau in Afghanistan:
„Wissen Sie, dass die Rauschgiftproduktion unter der
NATO-Herrschaft in Afghanistan um das Fünffache
gestiegen ist? Rauschgift! Das bringt die Menschen
um. Wir allein beklagen mehr als 3.300 Tote im
Kampf gegen Rauschgiftschmuggel. Unsere
Polizeikräfte haben bei der Bewachung unserer
1.000 Kilometer
langen Grenze zu Afghanistan diese Opfer
gebracht.“
… zur Abhängigkeit Europas von den USA:
„Seit 30 Jahren stehen Deutschland und andere europäische
Länder unter amerikanischem Druck, damit sie ihre
Beziehungen zu Teheran nicht verbessern. Das sagen
uns alle europäischen Staatsmänner.“
Der Spiegel: Hat Ihnen das auch Altkanzler Gerhard Schröder
bestätigt, den Sie im Februar hier in Teheran
empfangen haben?
„Ja, auch er hat das gesagt. Wir hoffen nun auf konkrete
Schritte. Das ist gut für alle, besonders aber zum
Vorteil der USA. Denn die amerikanische Position
in der Welt ist keine besonders gute. Keiner
schenkt den amerikanischen Worten Vertrauen.“
… zum Sicherheitsrat der Vereinten Nationen:
„Mindestens zehn Mitglieder des UNO-Sicherheitsrats (…) haben
uns erklärt, dass sie nur auf amerikanischen und
britischen Druck gegen uns gestimmt haben. Viele
haben das in diesem Raum hier geäußert. Welchen
Wert hat eine Zustimmung unter Druck? Wir
betrachten so etwas als juristisch irrelevant.
Politisch glauben wir, dass man die Welt nicht so
verwalten kann. Man muss alle Völker respektieren
und ihnen die gleichen Rechte einräumen (…)
Die Zusammensetzung des Sicherheitsrats und das Vetorecht der
fünf sind Folgen des Zweiten Weltkriegs, und der
ist schon über 60 Jahre vorbei. Müssen die
Siegermächte auf alle Ewigkeit die Völker
beherrschen, müssen sie die Weltregierung bilden?
(…) Wir akzeptieren nicht, dass sich einige wenige
Länder als Herren der Welt verstehen. Die sollen
die Augen öffnen und die wahren Verhältnisse
erkennen.“
… zum Atomstreit:
„Wenn eine Technik gut ist, sollten sie alle haben; wenn sie
schlecht ist, keiner. Kann es sein, dass Amerika
5.400 Nuklearsprengköpfe hat und Deutschland
keine? Und dass uns nicht einmal die friedliche
Nutzung der Nuklearenergie erlaubt sein soll?
Unsere Logik ist ganz klar: Gleiches Recht für
alle (…) Solange es keine Gerechtigkeit gibt, gibt
es keine Lösung. Mit zweierlei Maß darf man die
Welt nicht messen – das war der große Fehler von
Herrn Bush. Diesen Fehler sollten die Amerikaner
nicht noch einmal begehen. Wir sagen: Unter
gerechten Bedingungen sind wir zur Zusammenarbeit
bereit. Gleiche Verhältnisse, gleiche Augenhöhe.“
… zu Israel:
„Glauben Sie, dass das deutsche Volk auf der Seite des
zionistischen Regimes steht? Glauben Sie, dass
dazu eine Volksbefragung in Deutschland
durchgeführt werden könnte? Falls Sie so ein
Referendum zulassen, werden Sie feststellen, dass
das deutsche Volk das zionistische Regime hasst
(…) Ich glaube nicht, dass die europäischen Länder
die gleiche Nachsicht gezeigt hätten, wenn auch
nur ein Hundertstel der Verbrechen, die das
zionistische Regime in Gaza begangen hat, irgendwo
in Europa passiert wären. Warum bloß unterstützen
die europäischen Regierungen dieses Regime?“
… zum Verhältnis zu Deutschland:
„Ich habe schon vor drei Jahren ein Schreiben an Frau Merkel
gesandt, in dem ich die Bedeutung unserer
historisch gewachsenen kulturellen und
wirtschaftlichen Beziehungen betont und
Deutschland zu mehr Eigenständigkeit aufgefordert
habe.“
Der Leser möge sich zu Ahmadinedschads Äußerungen selbst ein
Urteil bilden.
Michael Grandt
Quelle: Der Spiegel,
Ausgabe 16/2009, S. 91–96
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