Auf dem Weg zum Scheiterhaufen…
Am 21. Januar dieses Jahres hat das schwedische
Fernsehen einen Ausschnitt aus einem längeren
Interview mit Bischof Richard Williamson von der
Piusbruderschaft ausgestrahlt. Die darin
geäußerten Ansichten über einige Aspekte der
Judenverfolgung im Dritten Reich lösten in den
Medien erwartungsgemäß einen Sturm der Entrüstung
aus. Dabei wurde Richard Williamson in der Presse
als „notorischer Holocaust-Leugner“,
„widerwärtiger Antisemit“ und „abscheulicher
Lügner“ beschimpft.
Dies alles ereignete sich in unmittelbarer zeitlicher Nähe
zur geplanten Rücknahme der Exkommunikation der
vier Bischöfe, zu denen auch der Weihbischof
Richard Williamson gehört. Durch diesen
Versöhnungsschritt wollte der Papst die abtrünnige
Piusbruderschaft wieder fest an den Vatikan
binden. Benedikt XVI. ließ sich aber von dem
Medienkreuzzug gegen Richard Williamson nicht
beeindrucken und nahm seine Exkommunikation
zurück, wodurch auch der Papst bei den
allmächtigen Medien in Ungnade gefallen ist.
Zu diesem wichtigen Ereignis, das inzwischen fast alle
deutschen Medien beherrscht, sowie über die
Grenzen der Meinungsfreiheit befragten wir den
Autor des Romans „Heimat ist ein Paradies“, Viktor
Streck.
Korr.: Herr Streck, worum geht es in diesem Fall? Wollte man
nur die bevorstehende Rücknahme der
Exkommunikation verhindern oder verfolgte man
dabei noch andere Ziele?
Wenn man nur die Rücknahme der Exkommunikation verhindern
wollte, hätte man dem Papst für seine Entscheidung
wesentlich mehr Zeit gelassen. Eine Medienkampagne
solcher Größenordnung braucht in der Regel ein bis
zwei Wochen, damit sie ihre volle Kraft entfalten
und den nötigen Druck erzeugen könnte. Das
Interview mit dem Bischof Williamson wurde bereits
im November aufgezeichnet und hätte somit diese
Voraussetzung erfühlt. Trotzdem hat man die
umstrittenen Ausschnitte unmittelbar vor der
Rücknahme der Exkommunikation ausgestrahlt.
Berücksichtigt man die Tatsache, daß die Ansichten
des verfemten Bischofs seit langem bekannt waren,
drängt sich der Verdacht auf, daß man den Papst
absichtlich in diese Falle hineinlaufen ließ.
Mit welchem Zweck?
Der Papst ist nicht nur für die linken Politiker zu
konservativ. Einige linkslastige Bischöfe sind mit
ihm genauso unzufrieden. Besonders in Deutschland.
Seine Annäherung an die Piusbruderschaft rief alle
verfügbaren Kräfte zusammen. Dabei wurden
naturgemäß die stärksten Waffen gewählt. Der
Vorwurf der Holocaust-Leugnung und die
obligatorische Unterstellung des Antisemitismus
bringen nicht nur den Bischof Williamson in
Bedrängnis, sondern vor allem den Papst.
Wie Sie selbst sagen, war die päpstliche Entscheidung, die
Exkommunikation von Bischof Williamson
zurückzunehmen, für den Vatikan mit weitreichenden
Folgen verbunden. Wie beurteilen Sie diesen
Schritt? War sie richtig?
Selbstverständlich! Die katholische Kirche ist eine
Glaubensgemeinschaft und keine Behörde zur
Überwachung der Meinungen ihrer Kirchengänger.
Solche Aufgaben werden in der Regel von anderen
Organisationen übernommen: früher hießen sie
Gestapo und KGB, heute haben solche Behörden
andere Namen.
Viele Bischöfe, unter anderem auch der Vorsitzende der
Deutschen Bischofskonferenz, fordern aber die
erneute Exkommunikation von Richard Williamson.
Ist es nicht merkwürdig, besonders unter
Berücksichtigung dessen, daß die erhobenen
Vorwürfe kein Vergehen gegen die katholische Lehre
darstellen?
An diesem Beispiel sehen wir ganz deutlich, daß hier ein
weiterer Versuch unternommen wird, der
katholischen Kirche ein neues Dogma aufzuzwingen.
Bekanntlich darf jeder beliebige
Schwerstverbrecher in der katholischen Kirche
verbleiben. Kinderschänder, sadistische
Massenmörder werden in erster Linie als Menschen
angesehen, die vom Bösen zwar überwältigt wurden,
gerade aus diesem Grunde aber der größtmöglichen
Zuwendung der Kirche bedürfen.
In diesem Fall aber versucht man den Bischof Williamson wegen
seiner Meinung als Verkörperung des absolut Bösen
darzustellen.
Wird es bald ein neues Dogma der katholischen Kirche geben?
Der menschlichen Dummheit und Feigheit sind bekanntlich keine
Grenzen gesetzt. Davor können auch die höchsten
kirchlichen Ämter keinen Schutz bieten. Es ist
wirklich traurig tagtäglich erleben zu müssen, wie
einige Bischöfe diesen Vorfall ausnutzen, um sich
im Rampenlicht der Medien zu profilieren. Obwohl
gerade Jesus Christus ihnen vorgelebt hatte, wie
ein Mensch die innere Freiheit auch unter
widrigsten Umständen bewahren kann. Wie er gerade
jene so reichlich mit seiner Liebe beschenkt
hatte, die von der Gesellschaft ausgegrenzt und
verpönt waren.
Und hier kommen wir zu einem wichtigen Aspekt, der viel
wichtiger ist als die bloße Instrumentalisierung
des Holocausts. Es geht um die Meinungsfreiheit,
die in unzähligen Kämpfen erstritten wurde. Es
geht schlicht und einfach darum, ob ein Mensch
öffentlich sagen darf, was er über eine
historische Begebenheit meint. Unabhängig davon ob
seine Meinung falsch oder richtig, gut oder böse
ist.
Hat der Bischof Recht, wenn er sagt, daß es keine Gaskammer
gab und nur 200.000 bis 300.000 Juden in den
Konzentrationslagern starben?
Das würde ich auch gerne wissen. Natürlich habe ich mir im
Internet verschiedene Meinungen zu diesem Thema
angesehen. Doch für eine begründete Antwort auf
diese Frage fehlen mir leider immer noch die
ausreichenden Kenntnisse. Ich habe mir aber fest
vorgenommen, die Quellen zu diesem traurigen
Kapitel unserer Zeitgeschichte eingehend zu
studieren.
Übrigens hat der Bischof Williamson den Holocaust nicht
geleugnet. Er hat in seinem Interview gesagt: „Ich
glaube nicht…“ Und das ist ein großer Unterschied.
Mehr noch, er hat die grundsätzliche Bereitschaft
angekündigt, seine Meinung zu korrigieren, sobald
die Quellen eine andere Interpretation zulassen
würden.
Mir persönlich geht es in diesem Fall nicht darum, ob er den
Holocaust geleugnet hat oder nicht. Wie ich
bereits erwähnte, würde ich gerne wissen, warum
die bloße Meinungsäußerung zu diesem Thema
dermaßen kriminalisiert wird, daß sogar die
Verteidiger in solchen Prozessen allein beim
Versuch, die Argumente des Angeklagten
vorzubringen, mit denselben harten Strafen bedroht
werden? Für meine Begriffe, ein Ding der
Unmöglichkeit!
Welche Strafe bekommt man dafür?
Soweit mir bekannt ist, sind für die bloße öffentliche
Meinungsäußerung, die bestimmte Aspekte des
Holocaust bestreiten, bis zu fünf Jahren
Freiheitsstrafe vorgesehen. Berücksichtigt man die
Tatsache, daß manche Mörder in der Bundesrepublik
wesentlich mildere Strafen bekommen, wird
deutlich, welche Brisanz dieser Umstand hat. Es
wird keine wirkliche Verteidigung zugelassen. Man
darf keine Entlastungsargumente vorbringen, keine
Gutachten, seien sie auch noch so einwandfrei und
richtig. Das Gericht bemüht sich gar nicht darum,
die Motivation des Angeklagten zu verstehen. Die
gerichtliche Sitzung wird somit zu einem
Schauprozess, in dem für den Angeklagten nur eine
einzige Aufgabe vorgesehen ist: das Urteil
schweigend zur Kenntnis zu nehmen! Ich würde gerne
wissen, was diese Praxis mit der hochgepriesenen
Rechtstaatlichkeit zu tun hat.
Welche Schlüsse ziehen sie daraus?
Die Schlußfolgerungen liegen nahe. Seit Mitte der 90er Jahre
wurden die bis dahin noch verbliebenen Grundrechte
der Deutschen Schritt für Schritt eingeschränkt.
Es werden immer neue Gesetze verabschiedet, die
nicht nur die Meinungsfreiheit als Grundrecht
abschaffen, sondern vor allem aber die
wissenschaftliche Forschung im Bereich der
Zeitgeschichte einfach unmöglich machen. Wissen
Sie, ich bin wie die meisten Leser dieser
Zeitschrift in der UdSSR aufgewachsen und konnte
die Mechanismen eines totalitären Systems ganz
genau beobachten. Außerdem stand ich dem
sowjetischen System seit meiner Jugendzeit sehr
feindlich gegenüber.
Ist das so wichtig?
Natürlich. Ein unpolitischer Mensch sieht die Wirklichkeit
eines totalitären Staates mit anderen Augen. Er
nimmt die herrschende Ideologie bereits in der
Schule unkritisch auf, lebt sich mehr oder weniger
in die gegebenen Umstände ein und ist im Großen
und Ganzen mit sich selbst und mit der Welt
zufrieden. Soweit er natürlich keine drückende Not
empfindet. Alle totalitären Regime versuchen, ihre
Untertanen in diesen Zustand zu versetzen. Wenn
man sich fügt oder einfach schweigt, so hat man in
der Regel nichts zu befürchten.
Anders sieht es aus, wenn man sich mit den politischen Themen
auseinandersetzt und meint, daß im Staate etwas
Grundsätzliches schief läuft. Sobald man nur ein
falsches Wort, ja in vielen Fällen sogar nur eine
mißverständliche Äußerung von sich gibt, ändert
sich das Leben grundsätzlich. Auf einmal ist alles
anders. Man kann die Bedrohung beinahe physisch
spüren. Sie hängt über einem wie eine dunkle
Wolke. Nichts ist mehr sicher: weder Arbeit noch
Alltag; die Freunde laufen einem scharenweise
davon und werden nicht müde, sich von einem zu
distanzieren. Von den anderen ganz zu schweigen:
die öffentlich zur Schau getragene Bestürzung und
Sprachlosigkeit sind dabei noch die mildesten
Unmutsäußerungen in Bezug auf seine Untaten. In
der Regel dauert es nicht lange, bis der Übeltäter
völlig ausgegrenzt ist und die Presse laut nach
dem Richter ruft.
Irgendwie ist uns dieses Szenario bekannt. Wenn man nur an
Martin Hohmann, Eva Herman und ähnliche Fälle
denkt.
Die Ähnlichkeit der aktuellen Entwicklung im Westen mit den
Ereignissen der 30er Jahre ist unübersehbar. Sie
lässt sich gut belegen. Europa und vor allem die
Bundesrepublik bewegen sich in Richtung einer
echten Meinungsdiktatur.
Ist es nicht etwas übertrieben, wenn Sie Europa mit der UdSSR
vergleichen?
Ein Vergleich mit der UdSSR ist nicht nur möglich, sondern
drängt sich für einen denkenden Menschen beinahe
von selbst auf. Genau wie in der Sowjetunion wird
in Europa versucht, einen zentralistischen
Vielvölkerstaat aufzubauen. Die vorgesehene
Verfassung des zukünftigen Riesenstaates wird,
soviel ich weiß, auch den Einsatz von Waffengewalt
gegen die eigene Bevölkerung erlauben.
Dabei muß man natürlich auch die Unterschiede nicht aus den
Augen verlieren. Der wesentliche besteht darin,
daß die UdSSR von sich selbst kaum ernsthaft
behauptete, demokratisch oder gar liberalistisch
zu sein. Wenn das Wort Demokratie überhaupt in den
Mund genommen wurde, so sprach man in der Regel
von der sogenannten „sozialistischen Demokratie“.
Die Unterdrückungsmethoden waren grob und für die
meisten sichtbar. Im Westen läuft es auf einem
anderen Niveau ab, viel subtiler.
Nach und nach verliert die Meinungsfreiheit gerade im Westen
immer mehr an Bedeutung. Der Brustumfang einer
Popsängerin ist für viele Menschen inzwischen
wichtiger als die eigene Geschichte und kulturelle
Überlieferung.
Angesichts der heutigen Situation müssen wir uns die ehrliche
Frage stellen, wie es dazu kommen konnte, daß
Europa mit seiner einmaligen abendländischen
Kulturtradition in Fragen der Meinungsfreiheit in
die Nähe der sowjetischen Diktatur der 70er Jahre
gekommen ist, während das postkommunistische
Rußland seinen Bürgern weitgehende Freiheiten
eingeräumt hat?
Aber gerade Rußland ist doch in den letzten Jahren immer mehr
ins Kreuzfeuer der westlichen Kritik geraten. Die
Bundeskanzlerin persönlich beschwerte sich beim
russischen Präsidenten wegen angeblich mangelnder
Pressefreiheit.
Die Bundeskanzlerin hat leider keine Ahnung von Rußland.
Nicht besser sieht es aus mit den „langjährigen
Berichterstattern“ der bundesdeutschen Medien. Ich
verlasse mich in solchen Fragen auf meine
persönliche Erfahrung. Ich habe nicht nur 25 Jahre
dort gelebt, sondern in den letzten 20 Jahren mehr
als hundertmal Rußland besucht. Dabei habe ich
mein Augenmerk gerade auf die Meinungsfreiheit
gelegt.
Natürlich können sie in Rußland als lokaler Journalist nicht
immer ohne Konsequenzen die örtlichen Politiker
kritisieren. Doch das ist in Rußland eine Frage
der machtpolitischen Interessen konkreter Personen
und Gruppen, die in den meisten Fällen mit den
ideologischen Fragen gar nichts zu tun haben. Wer
den russischen Zeitungs- und Büchermarkt kennt,
kann bestätigen, daß man in der Bundesrepublik von
einer solchen Freiheit nur träumen kann. Wenn Sie
in Moskau in eine große Buchhandlung reingehen,
werden Sie dort neben den Werken von erklärten
Stalinisten und Bolschewiken die Bücher von
Nationalisten, Ultraliberalen und Monarchisten
sehen. Es gibt auch solche, für die man
hierzulande für mehrere Jahre hinter Gitter
verschwinden würde. Ich kann mir nur schwer
vorstellen, daß im heutigen Rußland irgendein Buch
zum Thema der Zeitgeschichte verboten wäre. Wenn
einige Bücher in den Buchhandlungen auch fehlen,
dann liegt es in den meisten Fällen nicht daran,
daß man sie aus politischer Sicht für verwerflich
hält, sondern weil es keine nennenswerte Nachfrage
für diese Werke gibt. Ein Zustand, der für den
„freiesten Staat auf dem deutschen Boden“ schlicht
und einfach undenkbar wäre.
Dabei preisen die deutschen Politiker bei jedem erdenklichen
Anlaß die größtmögliche Toleranz, die es in
Wirklichkeit hierzulande immer weniger gibt. Ich
würde Frau Merkel dringend raten, sich über die
russischen Verhältnisse nicht unbedingt aus den
Spiegel-Artikeln zu informieren, sondern nach
einer zuverlässigeren Quelle zu suchen.
Tatsache ist, daß die überwiegende Mehrheit der politischen
Gefangenen, die in den deutschen Gefängnissen ihre
langjährigen Strafen absitzen, in Rußland
ungehindert in Freiheit leben würden. Mehr noch:
Niemand käme auf den abwegigen Gedanken, dem
Wissenschaftler Germar Rudolf wegen seines
Gutachtens zum Thema Holocaust die Arbeitsstelle
im Max-Planck-Institut zu kündigen. Sie hätten ihn
auf keinen Fall mit allen Mitteln aus dem Ausland
zu holen versucht, wie es die bundesdeutsche
Justiz gemacht hat. Egal welche Meinung er über
die Umstände der Judenverfolgung vertritt.
Das alles sind Tatsachen, die sich nicht so leicht
wegdiskutieren lassen. Auch Herr Williamson würde
nach Rußland einreisen können, ohne Angst zu
haben, von den russischen Behörden festgenommen
und für seine persönliche Meinung zu mehrjähriger
Haft verurteilt zu werden. Unabhängig davon, was
er davor gesagt oder auch geleugnet habe. Die
Freiheit ist immer an der Realität meßbar und
nicht an bloßen Lippenbekenntnissen.
Sie haben die politischen Gefangenen in Deutschland erwähnt.
Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Nehmen wir mal das krasseste Beispiel, den Prozeß gegen den
Holocaust-Leugner Ernst Zündel. Es ist für mich
persönlich unheimlich zu hören, wenn ein deutscher
Richter im Namen des Volkes verkündet, daß es in
einem strafrechtlichen Prozeß wegen
Meinungsäußerung gar nicht darum gehe, ob es den
Holocaust gab oder nicht, sondern nur darum, daß
die bloße Leugnung des Holocaust in der
Bundesrepublik strafbar sei. Ernst Zündel wurde
für fünf Jahre Haft ins Gefängnis geworfen, ohne
Anrechnung der Zeit, die er in der
Auslieferungshaft verbringen mußte.
Wenn ich an die politischen Gefangenen in meinem Land denke,
so schäme ich mich, weil auch ich noch kein Mittel
gefunden habe, die Menschen davon zu überzeugen,
daß diese Gesetze falsch sind und unverzüglich
abgeschafft werden müssen.
Das ist keine Belanglosigkeit, wenn ein Richter sagt, daß
nicht die Wahrheit maßgebend sei, sondern der
entsprechende Paragraph im Gesetzbuch. Wer kann
uns voraussagen, was die Obrigkeit als nächstes
dort alles hineinschreiben würde?
Sogar in der Sowjetunion hat man es nicht gewagt, die
Wahrheit als das höchste ideelle Gut dermaßen
öffentlich herabzuwürdigen. Im kommunistischen
Paradies pflegte man bekanntlich zu sagen, daß die
Lehre von Marx und Lenin wahr sei, weil sie eben
richtig ist. Bei aller Lächerlichkeit dieser
Behauptung, hat man den Wahrheitsgehalt des
Leninismus zumindest indirekt unterstellt, während
der bundesdeutsche Richter unmißverständlich
zugab, daß die volle Härte der Strafe einen Bürger
sogar dann treffen würde, wenn die Wahrheit auf
der Seite des Angeklagten stünde.
Das ist ein fataler Satz, der die europäische Kultur in ihren
Grundfesten erschüttert. Damit werden zweitausend
Jahre Christentum und die Errungenschaften der
Aufklärung einfach auf den Müllhaufen geworfen.
Woran liegt es, daß dieser Zustand sowohl von den deutschen
Bildungseliten, als auch von der Masse der
Bevölkerung widerspruchslos hingenommen wird?
Das Problem besteht darin, daß eine Verbrauchergesellschaft
grundsätzlich keine Ideale haben kann. Ihre
wesentliche Funktion besteht in der
Aufrechterhaltung des wachsenden Konsums. Die
menschliche Natur wurde entzaubert und auf ihren
materiellen Wert reduziert. Alles wird nur noch in
Euros und Dollar berechnet. Die oft beschworene
westliche Wertegemeinschaft besteht seit langem
nur noch auf dem Papier. Alle Inhalte wurden
relativiert und sind beliebig interpretierbar. Die
politische Aktivität der breiten Masse ist beinahe
auf Null gesunken. Nicht nur die Kirchen sind
leer.
Einer meiner guten Bekannten hat mich einmal gefragt, was
passieren würde, wenn man ihn morgen wegen seiner
politischen Anschauung verhaften und ins Gefängnis
werfen würde.
Was haben Sie ihm geantwortet?
Niemand würde sich darüber öffentlich aufregen! Er kann
sicher sein, daß seine Nachbarn, auch wenn sie es
im Allgemeinen als Unrecht empfinden würden, nicht
auf die Straße gehen werden, um für seine
Freilassung zu demonstrieren. Nicht einmal eine
Protestunterschrift würden sie wagen. Auch wenn
gleich darauf der nächste verhaftet wird, würde
sein Nachbar still bleiben. Er wird verstohlen aus
dem Fester seiner Festnahme zusehen und
aufrichtige Freude empfinden, daß das Schicksal
ihn auch diesmal verschonte. Das haben doch unsere
Vorfahren schon alles in der Sowjetunion hautnah
erleben müssen.
Mein Großvater V. Streck, zum Beispiel, wurde 1937 nur
deswegen festgenommen, weil er in einem Gespräch
offen gesagt hatte, daß die Menschen in der
Zarenzeit besser gelebt haben. Das Dreiergericht
hat genauso getobt wie seine deutschen Kollegen
aus Mannheim. Die bloße Meinungsäußerung wurde als
eine unerhörte Behauptung, eine schändliche
Straftat eingestuft. Genauso haben sie vor seinem
Gesicht mit den geltenden Gesetzen und Paragraphen
gefuchtelt. Danach wurde er gefoltert und 1938
erschossen.
Die Politiker und Journalisten überbieten sich in der Kritik
der 30er Jahre und vergessen dabei mit der
gleichen kritischen Sichtweise die heutigen
Ereignisse zu analysieren. Die latente Angst ist
allgegenwärtig. Wenn ich mit den Menschen über die
Zeitgeschichte oder auch über die wichtigsten
Ereignisse der Gegenwart spreche, sehe ich, daß
sie diesen Diskussionen nach Möglichkeit
ausweichen. Die Entfremdung der Menschen von
diesem Staat reift in den entlegensten Winkeln der
Seele. Alles spricht dafür, daß früher oder später
ein gewaltiger Umbruch unser Land erschüttern
wird. Ich hoffe, daß er nicht so viel Blut
unschuldiger Menschen fordern wird.
Nun versuchen wir zu unserem eigentlichen Thema
zurückzukehren. Die Deutsche Bischofskonferenz hat
sich von dem umstrittenen Bischof Richard
Williamson distanziert und erklärte, er habe sich
verpflichtet, die Lehre der katholischen Kirche
anzuerkennen.
Die Lehre der katholischen Kirche kann nur auf den
Grundpfeilern des neuen Testaments gründen. Die
ehrliche Wahrheitssuche – auch wenn man auf diesem
Wege Irrtümer nicht ausschließen kann – ist das
unumstrittene Fundament des christlichen Glaubens.
Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben;
niemand kommt zum Vater denn durch mich, lehrt
Christus. Sein beeindruckender Lebensweg ist vor
allem dadurch gekennzeichnet, daß er unerschrocken
die Wahrheit ausgesprochen hat. Dafür wurde er
letztendlich gekreuzigt. Ich sehe darin eine
unmißverständliche Botschaft an alle Christen,
seinem leuchtenden Beispiel zu folgen.
Jesus Christus ist Sohn Gottes und kannte aus diesem
einfachen Grunde die Wahrheit. Wir aber sind
irdische Menschen. Ist es nicht so, daß „der
Weisheit letzter Schluß“ uns doch verborgen
bleibt?
Das ist nur zum Teil richtig, denn es geht in diesem Fall um
das größtmögliche Bemühen um die Wahrheit,
unabhängig davon zu wessen Gunsten sie ausfallen
würde. Trotz unserer menschlichen Natur wurden wir
von Gott nach Seinem Ebenbild geschaffen und sind
somit seine Kinder. Selig sind, die da hungern
und dürsten nach der Gerechtigkeit, sagt uns
Jesus. Ich sehe darin eine hoffnungsvolle
Verheißung, daß alle Mühe auf diesem steinigen
Wege nicht umsonst sein wird. Alle Christen sind
verpflichtet, nach Gerechtigkeit und somit auch
nach der Wahrheit zu suchen. Denn die
Gerechtigkeit ohne Wahrheit wäre einfach nicht
denkbar. Diese Pflicht ist nicht übertragbar.
In der Bergpredigt verkündet Christus: Selig sind, die um
der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn das
Himmelreich ist ihr. Kann ein liebender Gott
seine Kinder noch mehr zur Gerechtigkeit und
Wahrheit ermutigen? Wohl kaum.
Mit diesen Worten bekennen Sie sich unmißverständlich zum
Christentum. Was sollte aber für Nichtchristen
oder gar für Ungläubige gelten?
Denken Sie doch an die Philosophie von Kant! Seine gesamte
Metaphysik der Sitten mündet in der Feststellung,
daß neben dem guten Willen vor allem das
unermüdliche Streben nach der Mündigkeit das
höchste Gut der Menschen sei. Das bedeutet, daß
man die Wahrheit nicht aus dem Munde der Obrigkeit
vernimmt, sondern sie selbständig zu ergründen
sucht, alles prüft und noch einmal überprüft. Das
ist der Sinn der Aufklärung. Man hat die Vernunft
in den Augen der Menschen zu einem sehr hohen Gut
erhoben, während uns die Regierung heute mit
Androhung der Haftstrafen einen neuen
Staatsglauben aufzwingen möchte, der einen
Anspruch auf Totalität anmeldet und dem sich
niemand entziehen kann.
Also fällt die Aussage des Bischofs Richard Williamson für
Sie in die Kategorie der Wahrheitssuche?
Unbedingt! Die bloße Meinungsäußerung darf unter keinen
Umständen ein Straftatbestand sein. Dort, wo dies
der Fall ist, kann keine Rede von der Freiheit
sein. Ganz gleich, ob die Meinung selbst auf einem
Irrtum gründet oder nicht.
Es ist vorstellbar, daß ihre Gegner sagen würden, daß die
Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat. Auch in einem
demokratischen Rechtsstaat ist nur das erlaubt,
was nicht verboten ist.
Diese Tricks sind seit langem bekannt. Auf diese Weise kann
jede auch noch so brutale Diktatur behaupten, eine
Demokratie zu sein. Statt die Geschichte zum
Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung zu
machen, verbietet man einfach die unliebsamen
Meinungen und behauptet dabei mit aller
Unverfrorenheit, es handle sich nicht um
Meinungen, sondern um strafrechtliche Delikte.
Eine Gesellschaftsform wird nicht nach ihrer
Verfassung beurteilt, sondern nach der
vorherrschenden Wirklichkeit in ihren konkreten
Äußerungen. Danach, wie die Gesetze interpretiert
und angewandt werden. Auch die stalinsche
Verfassung der 30er Jahre sprach von purem
Menschenglück und Freiheit. Nur hinderte sie die
stalinistischen Schergen nicht im Geringsten
daran, eine wahre Hexenjagd zu entfachen, der
mehrere Millionen unschuldiger Menschen zum Opfer
fielen.
Wenn Sie die Medienberichte über den Bischof Williamson
aufmerksam verfolgen, werden sie zwingend
feststellen müssen, daß der Ton dieser Berichte
immer näher an die Wirklichkeit der 30er Jahre
kommt. „Abscheulicher Lügner“, „widerwärtiger
Antisemit“ – das sind nur einige wenigen
Beschimpfungen, die ihm zuteil wurden. Man hat ein
Ermittlungsverfahren eingeleitet. Klammheimliche
Freude über die bevorstehende Verfolgung breitet
sich in den Kreisen der linken Journalisten aus.
Allen voran natürlich beim Nachrichtenmagazin
„Spiegel“. Die Herrschaften glauben im Ernst, die
Methoden der 30er Jahre bedenkenlos übernehmen zu
können, nur weil sie der Meinung sind, sie würden
einer guten Sache dienen.
Ich muß ihnen aber in Erinnerung rufen, daß einige
Bolschewiken auch glaubten, sie würden die
Menschheit mit ihrem Eifer beglücken. Was aus
diesem „edlen Vorhaben“ wurde, ist inzwischen fast
jedem bekannt.
Es mag alles richtig sein. Doch die Gegner einer solchen
Auffassung argumentieren damit, daß durch das
Anzweifeln des Holocaust das Andenken der
Verstorbenen verunglimpft werde.
Eine ehrliche Suche nach der Wahrheit kann keinen Menschen
verletzen. Weder Täter noch Opfer. Sonst müssen
wir die gesamte Geschichte ad acta legen, da sie
an ihren wichtigsten Bruchstellen leider fast
immer blutig war und unzählige Opfer forderte.
Wenn man das Schicksal der Rußlanddeutschen oder auch der
Vertriebenen nimmt, dann werden wir sehen, daß
hier kaum eine Familie verschont blieb. Fast alle
wurden völlig unschuldig niedergemacht. An welcher
Ecke man auch forscht, überall gewaltsamer Tod und
Ungerechtigkeit. Das gleiche Schicksal ereilte
viele Menschen in der UdSSR. Doch keinem käme es
in den Sinn, die Forschung oder auch die Leugnung
irgendwelcher historischen Fakten in diesem
Zusammenhang unter Strafe zu stellen. Es ist
einfach absurd.
Besonders grotesk hört sich das alles an, wenn man bedenkt,
daß gerade im Westen die Gesetzgebung schon lange
von dem Sittengesetz abgekoppelt wurde. Man
verunglimpft unseren Heiland Jesus Christus auf
unerträglichste Art und Weise. Es gibt fast gar
nichts mehr, was der sittenwidrigen Pöbelei nicht
preisgegeben worden wäre. In der aktuellen
Diskussion um den Bischof Williamson verstieg sich
der ehemalige Vizepräsident des Zentralrats der
Juden Michel Friedman zu einer unerhörten
Dreistigkeit, indem er den Papst Benedikt XVI.
öffentlich beschimpfte und sagte, daß er ein
Lügner und Heuchler sei. Wenn das keine
Verunglimpfung der katholischen Kirche und
überhaupt aller Katholiken ist?
Man hört oft das Argument, daß es überhaupt keine Rolle
spielt, ob es sechs Millionen oder
dreihunderttausend Holocaustopfer waren.
Es ist eine menschenverachtende Argumentation. Für solche
Moralisten sind die Opfer offensichtlich nur noch
statistische Einheiten. Stellen Sie sich bitte
bildlich vor Augen nur ein einziges schutzloses
Kind, das in den Wirren des Krieges ermordet wird.
Man kann daran ohne Tränen gar nicht denken,
unabhängig davon, ob es ein deutsches oder ein
jüdisches Kind ist. Wie kann es einem egal sein,
ob auch dieses Kind umgekommen ist? Jeder einzelne
ist ein Kind Gottes, ein tief fühlendes Wesen mit
seinen ihm allein eigenen Ängsten und Hoffnungen.
Wem die Zahl der Opfer unwichtig ist, der muß sich
den Vorwurf gefallen lassen, daß er zu jenen
wahrhaft grausamen Gutmenschen gehört, die das
menschliche Leid für ihre ideologischen Zwecke
mißbrauchen.
Jedes einzelne Opfer ist mir persönlich sehr wichtig. Doch
genau so wichtig ist es für mich zu wissen, ob die
uns vorgehaltenen Millionen tatsächlich ermordet
wurden oder nicht. Dazu gehört auch die Frage nach
der Art ihres Todes. Natürlich können diese
Erkenntnisse die Toten nicht wieder lebendig
machen. Sie geben aber Aufschluß über die Täter.
Die Antwort auf diese Fragen schuldet uns der
Staat und die ihn vertretenden Politiker, die vor
Amtsantritt geschworen haben, den Schaden vom
deutschen Volk abzuwenden. Diesen Eid müssen sie
erfüllen.
Der Staat meint aber, die Antwort zu wissen. Man kann sie
schließlich in jedem Schulbuch nachlesen.
Ich meine jetzt nicht einen bloßen Hinweis auf die
Offenkundigkeit, sondern eine begründete Antwort,
die mit entsprechenden forensischen Beweisen
unterlegt ist. Es muß den Wissenschaftlern erlaubt
sein, eine unabhängige Untersuchung vorzunehmen.
Und gerade dies geschieht nicht. Wenn Sie
aufmerksam die Presse im Falle von Richard
Williamson verfolgt haben, müßte Ihnen eigentlich
sofort aufgefallen sein, daß die inhaltliche
Diskussion peinlichst vermieden wird. Wenn die
damaligen Ereignisse tatsächlich so offenkundig
sind, warum bemüht sich der Staat nicht um die
größtmögliche wissenschaftliche Aufklärung? Die
unsägliche Diskussion über den Holocaust hätte
schon längst von selbst aufgehört.
Wollen Sie damit sagen, daß die offizielle Darstellung falsch
ist?
Das kann ich nicht sagen, da ich leider noch nicht alle
Quellen und Standpunkte geprüft habe. Mir fehlt
einfach das nötige Wissen. Ich bemühe mich
jedenfalls darum und bin mir ziemlich sicher, daß
ich irgendwann zu einem selbständigen Urteil
gelangen werde.
Stellen wir uns aber rein theoretisch vor, Sie würden zu
einem Schluß kommen, daß die Quellen die
vorgeschriebene Darstellung nicht stützen. Würden
Sie ihre Bedenken offen aussprechen?
Selbstverständlich!
Dann riskieren Sie, laut eigener Aussage für die nächsten
fünf Jahre hinter schwedische Gardinen zu geraten.
Ich kann mich bei der Wahrheitssuche nicht nach den
jeweiligen gesetzlichen Regelungen richten. Wenn
alle Menschen nur daran geglaubt hätten, was die
Obrigkeit ihnen als offenkundige Wahrheit
gepredigt hat, hätten wir womöglich immer noch
geglaubt, daß die Sonne sich um die Erde dreht.
Wissen Sie, das Gewissen eines Menschen ist keine
Hure, die mit jedem System bedenkenlos ins Bett
steigt.
Die menschliche Würde und die Freiheit des Denkens wurden uns
nicht von der Regierung geschenkt, sondern von
Gott allein gegeben, und es steht keinem Staat
dieser Erde zu, seinen Bürgern vorzuschreiben, was
die Wahrheit ist, oder sie bei der ehrlichen
Wahrheitssuche zu behindern. Tut er es trotzdem,
so wird ihn früher oder später das gleiche
Schicksal ereilen, wie es vor 20 Jahren dem
sowjetischen System zuteil wurde. Ihr werdet
die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch
frei machen, sagt uns Christus. Danach müssen
wir uns richten und nur danach.
Trotzdem gibt es sogar bei den Gläubigen viele Menschen,
welche meinen, sie dürfen sich in solche
Angelegenheiten nicht einmischen. Sie leben in
geschlossenen, meist sehr abgeschirmten Gemeinden,
befolgen die Gebote und hoffen dadurch ein
gottgewolltes Leben zu führen.
Es steht mir nicht zu, darüber ein Urteil abzugeben. Ich kann
in diesem Zusammenhang nur meine persönlichen
Bedenken anmelden. Ich versuche mir vorzustellen,
was Jesus Christus tun würde, wenn er jetzt wieder
zu uns käme. Würde er ein unauffälliges Leben
führen oder zu seinen Mitmenschen gehen und offen
vor aller Welt aussprechen, was er an unserem
gesellschaftlichen Miteinander falsch findet?
Würde er etwa schweigen, wenn er wüßte, welch
beispiellose Sittenlosigkeit in unserem Fernsehen
herrscht und die Seelen unserer Kinder vergiftet?
Man kommt an diesen Fragen einfach nicht vorbei.
Jeder gläubige Christ sollte unbedingt noch einmal
die Bibel in die Hand nehmen und – das Leben
Christi vor Augen haltend – sich selbst fragen, ob
sein Schweigen womöglich nur die unbewußte Flucht
vor der untröstlichen Realität dieser Welt ist
oder gar die Angst vor dem entbehrungsvollen Weg
der Wahrheitssuche.
«Ost-West-Panorama“
¹
3.
2009
|