Kriegslügen über Libyen
Wie die USA ihre Invasionen rechtfertigen
(ak). Dass die Vereinigten Staaten ihre als
„Befreiungsakte“ deklarierten Angriffskriege
manchmal mit äußerst fadenscheinigen
Erklärungen begründen, sollte spätestens
nach den nicht gefundenen
Massenvernichtungswaffen eines Saddam
Hussein dem aufmerksamen Beobachter
aufgefallen sein. Auch im aktuellen Fall um
Libyen kristallisiert sich eine stringente
Handlungslinie der US-amerikanischen
Außenpolitik heraus. An dieser Stelle
veröffentlichen wir einen Aufsatz von Thomas
C. Mountain, übersetzt von Susanne Schuster,
die die Kriegslügen über Libyen im
besonderen darstellen.
Der Text bestätigt wieder einmal, wie die
Vereinigten Staaten und ihre europäischen
Hilfsstaaten, die wirklichen Geschehnisse
verfälschen. Bei all den, fast permanent
über die Jahre hinweg, durchgeführten
amerikanischen Aggressionen wurde die
Kriegsschuld immer anderen in die Schuhe
geschoben, wurden die Gegner als Diktatoren,
Verbrecher, „Regime“ , Schurkenstaaten
dargestellt. Die Amerikaner und ihre
Verbündeten stellten sich dagegen als die
„Befreier“ dar. Erst im Nachhinein kam
bröckchenweise heraus, wer die Konflikte in
Wahrheit angezettelt hatte.
Die Kriegslügen über Libyen sind schlimmer
als die über den Irak
Die Lügen, mit denen der NATO-Krieg gegen
Libyen gerechtfertigt wird, übertreffen
diejenigen, mit denen die Invasion des Irak
gerechtfertigt wurde. Sowohl Amnesty
International als auch Human Rights Watch
hatten nach dem Aufstand im Osten Libyens
monatelang jeweils einen ehrlichen
Beobachter vor Ort – beide haben sämtliche
Anschuldigungen widerlegt, mit denen NATO
den Krieg gegen Libyen gerechtfertigt hat.
Laut der fließend Arabisch sprechenden
Beobachterin von Amnesty International gibt
es keinen bestätigten Fall von
Vergewaltigung durch Kämpfer aus Gaddafis
Lager, und es gibt auch keinen Arzt, dem so
ein Fall bekannt war. Alle Geschichten über
Massenvergewaltigungen mit Viagra sind
erfunden.
Amnesty konnte keine einzige Geschichte von
für Gaddafi kämpfenden „afrikanischen
Söldnern” bestätigen, und die hochbrisanten
Berichte von internationalen
Satellitenfernsehsendern über die
Vergewaltigung von Frauen durch afrikanische
Söldner, mit denen die Bevölkerung
Ostlibyens so in Panik versetzt wurde, dass
sie aus ihren Häusern floh, waren erfunden.
Es gab keine bestätigten Berichte von
Kampfhubschraubern, die Zivilisten angriffen
und keine Kampfjets, die Leute
bombardierten, was jegliche Rechtfertigung
für die vom UN-unSicherheitsrat beschlossene
Flugverbotszone, die als Vorwand für die
NATO-Angriffe auf Libyen benutzt wurde,
entwertet.
Nachdem die Ermittlerin von Amnesty
International drei Monate vor Ort in einem
von Rebellen kontrollierten Gebiet verbracht
hatte, konnte sie nur 110 Tote, zu denen
Unterstützer von Gaddafi zählten, in Bengasi
bestätigen.
Nur 110 Tote in Bengasi? Moment mal, uns
hatte man erzählt, es seien dort Tausende,
ja sogar Zehntausend, gestorben. Nein, nur
110 verloren ihr Leben, darunter
Unterstützer der Regierung.
Keine Vergewaltigungen, keine afrikanischen
Söldner, keine Kampfhubschrauber oder
Kampfjets, und nur 110 Tote vor dem Beginn
der Bombardierung durch NATO-Truppen – alles
gründete auf einer Lüge.
Laut dem libyschen roten Halbmond wurden
bisher mehr als 1.100 Zivilisten durch
NATO-Bomben getötet, darunter über 400
Frauen und Kinder. Mehr als 6.000 libysche
Zivilisten wurden durch die Bombardierung
verletzt oder verwundet, viele sehr schwer.
Verglichen mit dem Krieg gegen den Irak sind
diese Zahlen winzig, doch der Libyen-Krieg
lässt sich überhaupt nicht begründen.
Saddam Hussein war böse, er überfiel seine
Nachbarn in Kriegen, in denen bis zu einer
Million Menschen getötet wurden. Er setzte
Massenvernichtungswaffen in Form von Giftgas
gegen seine Nachbarn und sein eigenes Volk
ein, und tötete dabei Zehntausende. Er war
brutal und korrupt und als amerikanische
Panzer in den Irak rollten, weigerten sich
das irakische Volk, für ihn zu kämpfen,
legte einfach seine Waffen nieder und ging
nach Hause.
Libyen unter General Gaddafi hat nie seine
Nachbarn überfallen, Gaddafi hat nie
Massenvernichtungswaffen gegen andere
eingesetzt, geschweige denn sein eigenes
Volk. Was Gaddafis Brutalität angeht: im
Nachbarland Algerien führte das algerische
Militär während der 1990-er Jahre einen
Krieg gegen Aufständische, der etwa 200.000
Menschenleben gefordert hat. Das ist brutal
und nicht annähernd so schlimm wie das was
in Libyen geschehen ist. Westliche
Marionetten wie Mubarak und Ben Ali in
Ägypten und Tunesien hatten fast keine
Unterstützung im eigenen Volk und fast
niemand war bereit, für ihre Verteidigung zu
kämpfen und zu sterben. Die Mehrheit des
libyschen Volkes steht hinter der libyschen
Regierung und „dem Führer” Muammar Gaddafi.
Mehr als eine Million Menschen
demonstrierten am 1. Juli in der libyschen
Hauptstadt Tripolis, um ihre Unterstützung
zu zeigen. Tausende libysche Jugendliche
kämpfen an der Front gegen die Rebellen und
trotz Tausender NATO-Luftangriffe berichten
authentische Journalisten vor Ort in
Westlibyen, dass ihre Kampfmoral stark sei.
Der Volksaufstand in Ägypten, der am Ende zu
Mubaraks Entmachtung durch das Militär
führte, nahm seinen Anfang in den ärmsten
Stadtvierteln in Kairo und anderen
ägyptischen Städten, wo der Preis für
Grundnahrungsmittel wie Brot, Zucker und
Speiseöl in die Höhe geschossen war und bei
vielen Menschen zu Hunger geführt hat. In
den armen Stadtvierteln Ägyptens ist es
vielerorts leichter, Benzin zu finden als
sauberes Trinkwasser. Medizinische
Versorgung und Bildung ist denjenigen
vorbehalten, die dafür bezahlen können. Für
die Menschen in Tunesien ist das Leben kaum
besser.
Im Gegensatz dazu haben die Libyer die
höchste Lebenserwartung in der arabischen
Welt. Das libysche Volk hat das beste
kostenlose Gesundheitssystem in der
arabischen Welt. Das libysche Volk hat das
beste kostenlose Bildungssystem in der
arabischen Welt. Die meisten libyschen
Familien besitzen ihr eigenes Haus und die
meisten libyschen Familien besitzen ihr
eigenes Auto. Libyen ist wesentlich
wohlhabender als seine Nachbarn. Jedes Jahr
zogen Tausende Ägypter und Tunesier nach
Libyen, um mit dem dort verdienten Geld ihre
Familien zu ernähren, sie machten die
dreckige Arbeit, die Libyer nicht machen
wollten.
Gaddafi war der Architekt eines drastischen
Anstiegs des Lebensstandards für das
libysche Volk, trotz jahrezehntelanger
Sanktionen des UN-unSicherheitsrats gegen
die libysche Wirtschaft; vor diesem
Hintergrund räumen ehrliche Beobachter ein,
dass Gaddafi Kopf und Schulter über den
Königen, Scheichs, Emiren und verschieden
Diktatoren, die den Rest der arabischen Welt
regieren, steht.
Warum ist NATO also gegen Libyen in diesen
Krieg gezogen?
Zunächst einmal stand Gaddafi kurz davor,
ein neues Bankensystem in Afrika zu
schaffen, das den IWF, die Weltbank und
gewisse andere westliche Bankster aus dem
afrikanischen Markt gedrängt hätte. Das
hieße: keine westlichen Kredite mehr mit
Wucherzinsen, die afrikanische Wirtschaften
lähmen, stattdessen würde eine afrikanische
Investitionsbank mit einem Kapital von 42
Milliarden US-Dollar Großkredite mit sehr
geringen oder sogar keinen Zinsen
bereitstellen.
Libyen hat überall in Afrika wichtige
Infrastrukturprojekte finanziert, die
afrikanische Wirtschaftsräume miteinander
verbinden sollen, damit die permanente
Abhängigkeit von westlichen Ländern für
Importe durchbrochen werden kann. Nur ein
kleines Beispiel dafür ist die neue Straße,
die Eritrea mit Sudan verbindet.
Was am Ende den Ausschlag für eine
militärische Intervention des Westens
gegeben zu haben schien, war die Meldung
über Gaddafis Forderung, die US-Ölfirmen –
seit langem wichtige Player in der libyschen
Ölindustrie – hätten Libyen für die der
libyschen Wirtschaft zugefügten Schäden
infolge der „Lockerbie”-Sanktionen, die auf
Druck der USA vom UN-Sicherheitsrat während
der 1990-er bis Anfang der 2000-er Jahre
verhängt wurden, eine Entschädigung in
Milliardenhöhe zahlen müssen. Dies basiert
auf ans Tageslicht gebrachten Beweisen, dass
die CIA Millionen US-Dollar an Zeugen im
Lockerbie-Prozess gezahlt hat, damit sie
ihre Geschichten ändern, um Libyen mit dem
Anschlag in Verbindung zu bringen, das
bildete die Grundlage für die sehr
schädlichen UN-Sanktionen gegen Libyen. Die
US-Regierung log und schädigte Libyen,
deshalb hätten US-Ölfirmen für die
Handlungen ihrer Regierung bezahlen müssen.
Es fällt nicht schwer zu verstehen, warum
Gaddafi gehen musste.
Außerdem signalisierte Gaddafi klar, dass er
sowohl Libyens als auch Afrikas zukünftige
wirtschaftliche Entwicklung eher an China
und Russland gebunden sah als an den Westen
– es war also nur noch eine Frage der Zeit,
bis der Eventualplan der CIA für den Umsturz
der libyschen Regierung zur höchsten
Priorität wurde.
Der NATO-Krieg gegen Libyen hat viel mehr
gemein mit dem NATO-Krieg gegen Serbien.
Doch man kann Gaddafi dennoch nicht mit
Saddam or etwa den Kleinkriminellen in der
serbischen Führung vergleichen. Die
Kriegslügen über Libyen sind schlimmer als
im Fall Irak.
Thomas C. Mountain
Übersetzt von Susanne Schuster
Artikel veröffentlicht auf Tlaxcala am
01/08/2011
Original: Libya War Lies Worse Than Iraq |