Die
Rolle der Bundeswehr und der NATO im
Kosovo-Krieg als Beispiel für gutmenschliche
Entschlossenheit zur Schaffung einer neuen
Weltordnung. Eine Grundsatzrede
Deutsche Soldaten als Staatsbürger in Uniform
erheben den Anspruch, nur dann eingesetzt zu
werden, wenn die Politik realisierbare
Konzepte einer künftigen Friedensordnung
entwickelt sowie Ziele und Zwecke des
Einsatzes zweifelsfrei definiert hat. (Aus dem
8. Leitsatz des Deutschen Bundeswehrverbandes)
Alles geht - vorbei
»Holt unsere Jungs zurück!« - mit dieser eher
populistischen Parole biederte sich während
des ersten Golfkrieges im Januar '91 der
damalige niedersächsische Ministerpräsident
Gerhard Schröder an. Er nannte die Verlegung
eines Luftwaffenverbandes der Bundeswehr in
die Türkei - dieser sollte die USA bei der
Überwachung des Luftraumes unterstützen -
einen »politischen Fehler«. In einer
Landtagsdebatte äußerte Schröder damals
Verständnis für jugendliche Kriegsgegner, die
auf die Straße gingen, »weil sie fürchten, am
Golf könne ihre Zukunft verspielt werden«.
Seither hat sich vieles getan. Nicht nur
Schröder, auch die Aufgabenbereiche der
Bundeswehr haben sich seit Beginn der
neunziger Jahre drastisch verändert. Dieser
Wandlungsprozeß ist bereits so weit
fortgeschritten, daß Schröder - inzwischen
Bundeskanzler - im Frühjahr '99 - ohne dafür
die gesetzliche Grundlage zu haben! - sogar
Truppenteile der Bundeswehr in einen Krieg
schicken konnte und daß kein auch nur im
entferntesten mit den Vietnam-Demonstrationen
der sechziger und siebziger Jahre oder den
späteren Anti-Nachrüstungsbeschluß-Aufmärschen
vergleichbarer Sturm der Entrüstung durch die
Berliner Republik gefegt wäre. Wer hätte auch
schon zum Sturm blasen sollen? Sitzen viele
der Pazifisten, Aussteiger und
Berufsdemonstranten von damals heute in
bequemen Regierungssesseln. Daß das deutsche
Volk apathisch still hielt, hebt einmal mehr
den durchschlagenden Erfolg der auf
hedonistischem Individualismus und geschürten
Schuldgefühlen beruhenden Volkspädagogik
hervor. Das Resultat dieser
Erziehungskomponenten spiegelt sich nicht
zuletzt darin wieder, daß zehn Jahre nach dem
Mauerfall auch der »Krieg« eine Wandlung
erfahren hat: Vom Inbegriff des
apokalyptischen Grauens ist er zur allgemein
gerechtfertigten, ja notwendigen Option
politischen Handelns mutiert.
Aalglatt
Laut einer dpa-Meldung vom 10.11.98 nutzte
Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD)
seinen ersten Besuch bei der Truppe zu einem
Bekenntnis der besonderen Art: Die Bundeswehr
müsse fit werden für jede Art von
»NATO-Friedenseinsätzen« im Ausland. Und das
pikanterweise, obwohl in Scharpings
Parteiprogramm stand, daß das globale
Gewaltmonopol zur Sicherung des Weltfriedens
ausschließlich bei den Vereinten Nationen
liege. Vor dem Heeresführungskommando in
Koblenz erläuterte der künftige Kriegsminister
konkret die angestrebte »wachsende Teilnahme
an internationalen Friedensmissionen«,
woraufhin sich Generalleutnant Rüdiger Drews
ereiferte: »Was jetzt möglicherweise auf uns
zukommt ist ein Auftrag, den wir durchführen
können - aus dem Stand.« Kein Wunder, daß
Scharping, der als Wehrpflichtiger nach nur
sechsmonatiger Dienstzeit ausgemustert werden
mußte, da seine Brille nicht über die
ABC-Schutzmaske paßte, mit so viel
militärischem Einfühlungsvermögen gleich zu
Beginn seiner Amtsperiode bei den ranghöchsten
»Staatsbürgern in Uniform« einen Stein im
Brett hatte. Vergessen, daß er 1981 als
34jähriger SPD-Fraktionsvorsitzende in Mainz
im Bonner Hofgarten lautstark gegen
US-amerikanische Raketen auf deutschem Boden
demonstriert hatte. Vergessen freilich auch,
daß er noch wenige Monate vor Amtsantritt die
Wehrpflicht in Frage stellte. Scharping konnte
mit seinem Debüt zufrieden sein: »Es macht
Spaß.« - was in der bundesdeutschen
G'sellschaft mittlerweile den Rang eines
Grundrechts erklommen zu haben scheint, gewiß
aber bezeichnende Dimensionen angenommen hat.
Diese ebenso dekadente wie fatale
Erscheinungsform gab die rechtsintellektuelle
Monatszeitschrift NATION & EUROPA mit der
Beschreibung eines vorweihnachtlichen
Stimmungsabends '98 in plastischen Worten
wieder: »Am Schluß: Gruppenaufmarsch der
beteiligten Künstler. Die Kapelle dreht noch
einmal auf. Alles lacht, winkt und schunkelt.
Moderator Dieter Thomas Heck, aufgekratzt wie
eh und je, ruft donnernd in den Abspann:
'Bleiben Sie dran! Es folgt unsere
Sondersendung Bomben auf Bagdad!' Beifall,
Jubel. Keine Schrecksekunde, keine
Anstandspause, keine Spur von Betroffenheit.
Übergangslos wird umgeschaltet. The Show must
go on. Nicht einmal das Grinsen verschwindet
aus den Gesichtern. Warum auch?«
Natürlich hatte man selbst eine reine Weste,
schließlich habe »die westliche
Wertgemeinschaft« sich über Jahre hinweg um
eine friedliche Lösung des Kosovo-Konflikts
ernsthaft, aber leider erfolglos bemüht.
Deshalb bleibe der NATO als einzig
realistische Option jetzt nur noch der
militärische Angriff, um eine »humanitäre
Katastrophe« zu verhindern. Dies erwies sich
jedoch rasch als Lüge. Der Vizepräsident der
Parlamentarischen Versammlung der OSZE und
CDU-Bundestagsabgeordnete Willy Wimmer (von
1988 bis 1992 Parlamentarischer Staatssekretär
im Bundesverteidigungsministerium) hatte
Anfang des Jahres mehrfach öffentlich
vorgeworfen, »Regierungen wichtiger
NATO-Staaten wie Großbritannien und USA hätten
bewußt in den letzten Jahren auf ein
militärisches Eingreifen der NATO in Kosovo
hingearbeitet und eine nicht-militärische
Konfliktlösung letztlich hintertrieben«.
Davon abgesehen beinhaltet die leichtfertige
Aussage, kein anderer Weg stünde mehr offen,
ungeheure zivile Folgen. »Wenn die politisch,
wirtschaftlich und militärisch stärkste
Koalition der Welt, die USA und die
NATO-Staaten, angesichts des im Weltmaßstab
relativ geringfügigen Kosovo-Problems
erklären, es gäbe keine Alternative zum
gröbsten aller Mittel: dem kriegerischen
Überfall auf ein anderes Land unter Bruch
geltender Gesetze, dann ist jeder Schlag in
die Fresse bei einem Kneipenstreit, in der
Ehe, zwischen Fan-Gruppen, zwischen
politischen Meinungsgegnern, unter Schülern
und wo immer man will das erlaubte Mittel, zu
dem es 'keine Alternative' gibt, wenn der
Verhandlungswille, wenn der Redewille bei
einer der beteiligten Parteien versiegt.«
Den Weg der Bundeswehr von einer
Verteidigungsarmee zum direkten Hilfswilligen
US-amerikanischer Aggressionspolitik hatte
bereits die Kohl-Regierung vorgeebnet: Die
rechtliche Grundlage für sogenannte
Out-of-area-Kampfeinsätze der Bundeswehr, also
solche, die außerhalb des Gebietes der EU bzw.
der NATO liegen, bildet das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts vom Juli '94.
Demnach wurden militärische Kampfeinsätze der
Bundeswehr im Rahmen von NATO, WEU und UNO
zulässig, wenn der Bundestag mit einfacher
Mehrheit zustimmt. Damit war durch Gesetz der
Weg für direkte militärische Konfrontation in
globalem Umfang geebnet. Damit war man nicht
mehr darauf beschränkt, wie noch 1989/90 in
Südwestafrika, als deutsches VN-Kontingent
»nur« Truppen des Bundesgrenzschutzes
entrichten zu dürfen.
Ausprobiert wurde die neue »Freiheit« 1995 auf
dem Kriegsschauplatz in Bosnien: In der
Diskussion um einen möglichen Abzug der
UNPROFOR-Schutztruppen (Blauhelme) aus Bosnien
bot die Bundesregierung der NATO im Februar
'95 die Entsendung von 1870 Bundeswehrsoldaten
zur Sicherung des Abzugs an, obgleich bis Ende
'94 für die Bundesregierung feststand, keine
deutschen Soldaten in Gebiete zu entsenden,
»in denen die deutsche Wehrmacht im Zweiten
Weltkrieg Verbrechen« begangen hatte. Noch am
28.5.95 erklärte Verteidigungsminister Volker
Rühe: »Wir werden nicht verwickelt werden in
die jetzigen Prozesse in Jugoslawien.« Papier
ist freilich geduldig. Auch die bis dahin
eingeschlagene Linie der SPD, keinen
Kampfeinsätzen der Bundeswehr außerhalb des
NATO-Vertragsgebiets zuzustimmen, geriet in
Windeseile ins Wanken. Am 29.5.95 erklärte der
Bundestagsabgeordnete und
»Verteidigungsexperte« Dieter Heistermann, die
Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion werde für
die von der Regierung geplante Entsendung von
Bundeswehreinheiten zur Sicherung des
VN-Truppenabzugs stimmen, was tags drauf auch
in die Tat umgesetzt wurde. Damit war
endgültig eine der letzten Beschränkungen für
weltweite Bundeswehreinsätze durchbrochen;
daran änderten auch die hohlen Worte der
stellvertretenden Parteivorsitzenden Oskar
Lafontaine und Heidemarie Wiezcoreck-Zeul
nichts mehr: »Wenn Rühe versuchen sollte, die
Bundeswehr in militärische Abenteuer zu
ziehen, wird er auf den harten Widerstand der
SPD stoßen.« Wie hart der tatsächlich war, ist
uns inzwischen ja in beeindruckenderweise vor
Augen geführt worden.
1998 war der zweite Krieg gegen den Irak
längst vorprogrammiert. Das Land gehörte vor
dem ersten »humanitären Einsatz« der
Amerikaner und Briten 1991 mit einem
vorbildlichen Bildungs- und Gesundheitswesen
zu den fortschrittlichsten Staaten der
arabischen Hemisphäre. Während und nach der
ersten gutmenschlichen Friedensmission und den
danach einsetzenden Sanktionen und Blockaden
starben etwa 800.000 irakische Menschen,
darunter 320.000 Kinder unter 5 Jahren. Das
Land wurde in seiner gesamten demographischen,
infrastrukturellen, sozialen und
wirtschaftlichen Entwicklung um Jahrzehnte
zurückgeworfen - wie dies US-Außenminister
James Baker seinem irakischen Amtskollegen
Tariq Aziz vor dem Bombardement auch angedroht
hatte: »Wir werden Sie in das vorindustrielle
Zeitalter zurückbomben!« Und alles um der
lieben »Menschenrechte« willen?
Anstatt sich an die skandalträchtige USA zu
wenden, riefen '98 in vielen Teilen der Welt
Politiker den irakischen Präsidenten Saddam
Hussein »zum Einlenken« auf. So appellierte
auch Bundeskanzler Gerhard Schröder »mit
großem Ernst« an die Bagdader Führung, die
VN-Resolutionen zu erfüllen und die
Kooperation mit den Abrüstungsinspektoren der
Vereinten Nationen wiederaufzunehmen. Der
Wahrheit entspricht jedoch, daß vom Irak
(zumindest zu diesem Zeitpunkt) keine aktuelle
militärische Bedrohung für die Nachbarstaaten
(einschließlich Israels) ausging und das
irakische Potential an
Massenvernichtungswaffen - den Untersuchungen
der beauftragten VN-Inspektoren zufolge -
weitgehend zerstört worden und die Möglichkeit
der Verschleierung gering sei. Daraufhin
drängte Washington, den Bericht der
Inspektoren zu ändern. Warum? Brent Scowcroft,
nationaler Sicherheitsberater unter Präsident
Bush, sagte bezüglich des ersten Irak-Krieges
im BBC, »daß der wahre Grund für den Krieg
natürlich das Öl gewesen sei«. Hieran hat sich
bis heute nichts grundlegendes geändert, und
dies gilt für das Kosovo ebenso: Wer weiß
schon, daß das Amselfeld mit seinen
Bodenschätzen zu den reichsten Gebieten
Europas gehört? Neben enormen Blei- und
Zinkvorkommen sind es vor allem riesige
Erdgasvorkommen, schier unerschöpfliche
Erdölresourcen und das größte Steinkohlenlager
in Europa, die für die »Friedensmissionare«
selbstverständlich nur von zweitrangiger
Bedeutung sind. Seit dem 24.3.99 befand sich
die BRD unter einer rotgrünen Koalition im
Krieg mit einem europäischen Nachbarn. Nicht
etwa Entsetzen oder wenigstens schamhafte
Zurückhaltung traten in der Medienwelt
vorrangig in Erscheinung, sondern im
Gegenteil, die abenteuerlichsten
Interpretationen und Äußerungen bestimmten die
»Nachrichten«. Nach Auffassung von
Bundeskanzler Gerhard Schröder etwa habe die
EU mit dem militärischen Vorgehen gegen
Jugoslawien gar ihre Handlungsfähigkeit
bewiesen. Mit vollem Ernst meinte Schröder am
26.3.99 vor dem Bundestag: »Das Bündnis war zu
diesem Schritt gezwungen, um weitere schwere
und systematische Verletzungen der
Menschenrechte im Kosovo zu unterbinden und um
eine humanitäre Katastrophe dort zu
verhindern.« Abgesehen davon, daß schon dieser
Wortgebrauch Mumpitz ist, da es eine
humanitäre Katastrophe (im Gegensatz zu
humanitären Gründen, eine Katastrophe zu
verhindern) nicht gibt, gilt das englische
Sprichwort: Fighting for peace is like fucking
for virginity. Für die Gutmenschen war
selbstredend klar, wer der wahre Bösewicht
ist: Slobodan Milosevic trage die
Verantwortung für die entstandene Lage. In die
gleiche Kerbe schlug der ehemalige
Pornoübersetzer und heutige Außenminister
Joschka Fischer, der den NATO-Angriff und die
Beteiligung Deutschlands besonders verteidigte
- freilich unbeeindruckt von der Tatsache, daß
zum gleichen Zeitpunkt in seinem
Parteiprogramm das Bekenntnis stand:
»Militärische Friedenserzwingung und
Kampfeinsätze lehnen wir ab.« (Ob mit ihrer
Kriegsteilnahme die Grünen ihre Wähler
betrogen hätten? Nein, nein!
Bundesumweltminister Jürgen Trittin legte
diesbezüglich gegenüber der BILD-ZEITUNG ein
geradezu entwaffnendes Bekenntnis ab: »Wir
halten das nach wie vor für das falsche
Mittel. Aber es gibt Situationen, wo man Dinge
tun muß, die man eigentlich ablehnt.« ) »Die
Kosovo-Krise«, so Fischer, »sei eine Krise in
Europa und müsse von Europa gelöst werden.
'Wir dürfen uns nicht wegdrehen', sagte
Fischer. Die Bundesregierung habe wirklich
alles versucht, den Krieg zu vermeiden. (...)
'Die Verantwortung liegt allein bei
Milosevic.'« Die WELT AM SONNTAG entblödete
sich nicht vor diesem Hintergrund zu fragen,
ob die Regierung über Nacht erwachsen geworden
sei.
Dr. Alfred Mechtersheimer, Friedensforscher
und Vorsitzender der Deutschland-Bewegung,
bemerkte in einem Interview mit dem
österreichischen Magazin AULA im April 1999 zu
Recht: »Vor allem empört, daß der Einsatz der
Bundeswehr von außen diktiert wird. Die
oberste deutsche Staatsräson heißt nach wie
vor Bündnistreue. Mit dem NATO-Krieg gegen
Serbien will die US-Regierung auch die
Deutschen und Europäer disziplinieren.
Washington gibt den Ton an und die rot-grüne
Regierung in Bonn gehorcht, besser noch als
ihre Vorgängerin.« In dieselbe Kerbe schlug
auch der ehemalige Bundeskanzler Helmut
Schmidt, der gegenüber einer Schweizer
Wochenzeitung eingestand: »Gegängelt von den
USA, haben wir das internationale Recht und
die Charta der Vereinten Nationen mißachtet.«
Verstöße gegen nationales und internationales
Völker- und Verfassungsrecht
Es ist nicht Absicht meiner Rede die Frage der
Kriegsschuld oder die der Verantwortung an den
Geschehnissen in und um Serbien eingehend
darzulegen. Wohl aber sollten wesentliche
juristische und politische Aspekte untersucht
werden, die Rückschlüsse auf die tatsächlichen
Begebenheiten zulassen - die im
Propagandaapparat verschwiegen oder entstellt
werden. Wir wollen im folgenden deshalb
darlegen, warum dieser Krieg
völkerrechtswidrig war.
Im März '99 meinte der Vorsitzende des
Deutschen Bundeswehr-Verbandes (DBwV) Oberst
Bernhard Gertz, zur völker- und
verfassungsrechtlichen Legitimation eines
Kampfeinsatzes von Bundeswehreinheiten in
Jugoslawien, daß ein Bundeswehreinsatz als
Friedenstruppe im Kosovo nur auf der Grundlage
eines Friedensabkommens zwischen den
Konfliktparteien und mit deren ausdrücklicher
Zustimmung zulässig sei. Einen
Bundeswehreinsatz zur gewaltsamen
Friedenserzwingung schließe der DBwV aus,
allerdings fügte Gertz hinzu, daß der Westen
bei Völkermord und Massenvertreibung nicht
weiter tatenlos zusehen könne. Das Vetorecht
einiger Staaten im UN-Sicherheitsrat dürfe
nicht bewirken, daß die NATO an der
unabdingbar erforderlichen Nothilfe gehindert
werde. Die Alternative, die Auslöschung der
kosovo-albanischen Bevölkerungsmehrheit, sei
unannehmbar. »Der Schutz von Menschenrechten
wiegt wesentlich schwerer als das sklavische
Festhalten an Buchstaben der UN-Charta.« Eine
ebenso theatralische Darstellung der
Geschehnisse wie bedenkliche Haltung gegenüber
internationaler Vereinbarungen!
Der damals noch amtierende Bundesaußenminister
Kinkel erklärte am 12. Oktober '98: »Im Lichte
des Unvermögens des Sicherheitsrates, seinem
Gewaltmonopol bei dieser besonderen
notstandsähnlichen Situation gerecht zu
werden, fußt die Rechtsgrundlage angesichts
der humanitären Krise im Kosovo auf Sinn und
Logik der Sicherheitsratsresolution 1160 und
1199 in Verbindung mit dem Gesichtspunkt der
humanitären Intervention und einem
Mindeststandart in Europa für die Einhaltung
der Menschenrechte, dem wir die Qualität eines
sich entwickelnden regionalen Völkerrechts
beimessen. Dies ist ein Fall, in dem das
Völkerrecht ein militärisches Tätigwerden zur
Abwendung einer unmittelbar bevorstehenden
humanitären Katastrophe, nachdem alle zivilen
Mittel erschöpft sind, ausnahmsweise erlaubt.«
Zu beiden oben zitierten Äußerungen sind
einige Bemerkungen und Richtigstellungen wohl
angebracht:
1. Die UN-Sicherheitsrats-Resolutionen 1160
und 1199 enthalten gerade keine Ermächtigung
zum Einsatz militärischer Gewalt nach Art. 42
oder Art. 53 UN-Charta. Art. 53 der UN-Charta
bestimmt ausdrücklich: »Ohne Ermächtigung des
Sicherheitsrates dürfen Zwangsmaßnahmen
aufgrund regionaler Abmachungen oder seiner
regionalen Einrichtungen nicht ergriffen
werden.« Der Ausnahmefall des Art. 51
VN-Charta, der die Notwehr und Nothilfe
zugunsten eines angegriffenen Staates
rechtfertigt, lag nicht vor, da keiner der
NATO-Staaten militärisch angegriffen worden
ist; kein angegriffener Staat hat um Nothilfe
gebeten. Folglich haben die entsprechenden
Bemühungen der USA im Sicherheitsrat auch
nicht die erforderliche Zustimmung gefunden.
2. Auch unter dem Gesichtspunkt der
»humanitären Intervention« - im Klartext die
Anwendung bewaffneter Gewalt in einem fremden
Staat - kann ein Militärschlag nicht gestützt
werden. Dem strikten völkerrechtlichen
Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta
unterliegt »jede« Art der Anwendung von
Waffengewalt gegen einen anderen Staat, sofern
in der UN-Charta keine rechtfertigende
Ausnahme vorhanden ist. Als völkerrechtlicher
Rechtfertigungsgrund für einen nach der
UN-Charta zulässigen Gewalteinsatz kommt bei
schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen nur
eine ausdrückliche Ermächtigung durch den
UN-Sicherheitsrat nach Art. 42 oder Art. 53
UN-Charta in Betracht. Auch das
»Selbstverteidigungsrecht« gegen einen
»bewaffneten Angriff« auf einen anderen Staat
nach Art. 51 UN-Charta greift nicht ein.
3. Falsch ist es ferner zu behaupten, daß der
Schutz der Menschenrechte ein »sich
entwickelndes regionales Völkerrecht«
darstelle, das in Abweichung von der UN-Charta
militärische Gewaltausübung erlaube. Richtig
ist, daß der Menschenrechtsschutz eine ganz
grundlegende Entwicklung des
gesamteuropäischen Völkerrechts ist. Aber
diese Entwicklung ist gerade nicht durch
militärische Aktionen durchgesetzt worden.
4. Wer im Hinblick auf das u.a. von Rußland im
UN-Sicherheitsrat wahrgenommene Veto-Recht von
einem »Mißbrauch« oder einer
»notstandsähnlichen Situation« redet, sollte
vorsichtig sein; denn dann müßte man wegen
amerikanischer Einsprüche wiederholt
verhinderte Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates
zum Verhalten Israels im Nahost-Konflikt in
gleicher Weise beurteilen. Was freilich nicht
geschieht. 5. Die Teilnahme der Bundeswehr an
dem militärischen Angriff auf Jugoslawien
stellt einen schwerwiegenden Bruch des der
deutschen Teilvereinigung zugrunde liegenden
Zwei-plus-Vier-Vertrages (Deutschlandvertrag)
vom 12. September 1990 dar. In Art. 2 ist
festgehalten, »daß das vereinte Deutschland
keine seiner Waffen jemals einsetzen wird, es
sei denn in Übereinstimmung mit seiner
Verfassung und der Charta der Vereinten
Nationen.« Diese Verpflichtung ist gebrochen
worden!
6. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem
Out-of-Area-Urteil vom 12. Juli 1994
herausgestellt, daß die Bundesrepublik
Deutschland nach Art. 24 Abs. 2 GG einem
»System gegenseitiger kollektiver Sicherheit«
beitreten dürfe. Dann seien auch Einsätze der
Bundeswehr erlaubt, »die im Rahmen und nach
den Regeln des Systems stattfinden«. Mit der
Beteiligung am NATO-Einsatz im Kosovo spricht
sich die Bundesrepublik Deutschland erstmals
von den Regeln dieses Systems frei, denn eine
Rechtfertigung mit Hilfe der kollektiven
Sicherheit ist nicht ersichtlich.
7. Weitere Gesetzestexte, die herangezogen
werden sollten, um die Rechtswidrigkeit des
Kosovo-Krieges darzulegen: Art. 26 Abs. 1 GG
verbietet Angriffskriege mit folgendem
Wortlaut: »Handlungen, die geeignet sind und
in der Absicht vorgenommen werden, das
friedliche Zusammenleben der Völker zu stören,
insbesondere die Führung eines Angriffskrieges
vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie
sind unter Strafe zu stellen.« Die
Strafandrohung ist in § 80 StGB dargelegt:
»Wer einen Angriffskrieg, an dem die
Bundesrepublik Deutschland beteiligt sein
soll, vorbereitet und dadurch die Gefahr eines
Krieges für die Bundesrepublik Deutschland
herbeiführt, wird mit lebenslanger
Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsstrafe nicht
unter 10 Jahren bestraft.« Art. 87a Abs. 2 GG
lautet: »Außer zur Verteidigung dürfen die
Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit
dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.«
Gemäß Art. 9 des Soldatengesetzes schwören
bzw. geloben die Soldaten der Bundeswehr »der
Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und
das Recht und die Freiheit des deutschen
Volkes tapfer zu verteidigen.« Generalmajor a.
D. Gerd Schultze-Rhonhof, bis 1996
Befehlshaber des Wehrbereichskommandos II und
Kommandeur der 1. Panzerdivision, äußerte sich
gegenüber der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT auf
die Frage, ob der Einsatz von Truppen der NATO
mit deutscher Beteiligung zur
Friedenssicherung rechtmäßig bzw. ein
militärisches Eingreifen ohne UNO-Mandat
völkerrechtswidrig sei, daß es »natürlich ein
legitimes Recht jedes Staates [sei], bei einer
Bürgerkriegsauseinandersetzung im Nachbarland
Druck auszuüben. Ein Problem ergibt sich für
die NATO erst, wenn die Serben sich endgültig
weigern, ihr Befugnisse in Rest-Jugoslawien
zuzubilligen, wie zum Beispiel die Überwachung
eines Friedensprozesses durch NATO-Truppen im
Kosovo. (...) Wenn Serbien dem Druck der NATO
nicht nachgibt, Bündnistruppen auf seinem
Territorium zu akzeptieren, und auch kein
Mandat der UNO ausgesprochen wird, kommt ein
Eingreifen der NATO einem Angriffskrieg
gleich. Das wäre völkerrechtswidrig. (...)
Nach Artikel 26 GG haben wir uns die Teilnahme
an Angriffskriegen selbst untersagt. (...)
Wenn wir ohne eine Zustimmung aus Belgrad mit
Kräften der Bundeswehr in Jugoslawien
einmarschieren würden, und sei es auch zum
Schutz der Kosovo-Albaner, dann wäre das nach
dem Völkerrecht eine Eröffnung des Krieges
durch uns. Wir wären in diesem Fall der
Angreifer.«
Exkurs: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker
Die Angriffe der NATO-Streitkräfte auf
Jugoslawien und ihre Begründung vom »Schutz
der albanischen Minderheit«, bieten einen
passenden Anlaß zum Rückblick und Ausblick auf
die Entwicklung des Selbstbestimmungsrechts
der Völker. Wie der Bonner Völkerrechtler
Prof. Dr. Ernst Portner feststellt, gab es bis
zum Ersten Weltkrieg kein allgemein
anerkanntes völkerrechtliches Prinzip, nach
dem ein Volk Anspruch auf einen eigenen Staat
gehabt hätte. Dies sollte sich mit der
Niederlage der Mittelmächte und ihrer
Verbündeten im Ersten Weltkrieg ändern,
selbstverständlich ohne, daß hierbei das
Selbstbestimmungsrecht zur Anwendung gekommen
wäre. Im Gegenteil, große Provinzen wie z.B.
Elsaß-Lothringen, das Saarland, Westpreußen
mit Danzig, das Memelland, Siebenbürgen und
Südtirol wurden ohne Volksabstimmung vom
Mutterland abgetrennt, Teile Oberschlesien
sogar entgegen einer Volksabstimmung zugunsten
Deutschlands; den Deutschen in Österreich,
Böhmen und Mähren wurde der von ihnen
gewünschte Anschluß an das Deutsche Reich
verboten. Abgesehen von diesem Rechtsbruch
krankte die Umsetzung des Völkerrechtsprinzips
daran, daß es nur in den Verliererstaaten
angewandt wurde, nicht aber in den
Siegerstaaten: Die Korsen, Bretonen und Basken
(und nun auch die Elsässer) blieben in
Frankreich unterdrückte Minderheiten, ebenso
wie dies für die Galizier, Basken und
Katalanen in Spanien galt. Die Iren mußten
sich ihren eigenen Nationalstaat (Eire) unter
Waffengewalt von England erkämpfen, während
Nordirland, Schottland und Wales, ebenso wie
die alten und neu annektierten überseeischen
Gebiete, »britisch« blieben. Auch in den neu
geschaffenen Staaten Tschechoslowakei,
Jugoslawien, Polen und Rumänien erwiesen sich
die jeweiligen »Staatsvölker« - besonders die
Tschechen und Serben - bald als schlimmere
Unterdrücker ethnischer Minderheiten als es
ihre Vorgänger je gewesen waren. Die
Entente-Mächte rührten auch keinen Finger, als
die unter Kemal Pascha wieder erstarkte Türkei
1920-22 ihre ehemaligen armenischen,
griechischen und kurdischen Gebiete
zurückeroberte. Ebensowenig als Deutschland
während der 30er Jahre das
Selbstbestimmungsrecht durchsetzte und auf
diese Weise friedlich das Rheinland, das
Saarland, Danzig, das Sudetenland und
Österreich heim ins Reich holte, ohne daß es
hierbei zu internationalen Konflikten gekommen
wäre.
Die Bereitschaft der Siegermächte, das
Selbstbestimmungsrecht der Völker als
unteilbares Gut anzuerkennen schwand Mitte '39
jedoch wieder. Nach Beendigung der
Kriegshandlungen gegen Deutschland und Japan
wurde das aus der Satzung des Völkerbunds
übernommene Lippenbekenntnis zum
»Selbstbestimmungsrecht der Völker« in Artikel
1 Absatz 2 der VN-Charta von 1945 dahingehend
ausgelegt, »daß es nicht für ethnische
Minderheiten in souveränen Staaten galt.« Dies
sollte sich erst beim Auseinanderbrechen des
Ostblocks und dem Fall der Berliner Mauer 1989
ändern. Nun wagten es einige Völker, die in
»souveränen Staaten« lebten, sich gegen diese
eherne Regel aufzulehnen, unter ihnen die
Esten, Letten, Litauer, Weißrussen, Ukrainer,
die Turkvölker der ehemaligen Sowjetunion,
Slowaken, Slowenen und Kroaten. Sie alle
konnten sich anfangs nur geringer Sympathien
des Auslands erfreuen, das sie widerwillig
erst anerkannte, als es ihnen gelungen war,
vollendete Tatsachen zu schaffen. Denn das
Credo der politisch korrekten Gutmenschen hieß
inzwischen nicht mehr Selbstbestimmungsrecht
der Völker, sondern Multikulturelle
Gesellschaft. Jedes Unabhängigkeitsstreben
einer ethnischen Minderheit, die dieses neue
Prinzip in der Praxis widerlegte, wurde von
dessen Verfechtern als ideologischer Schlag
ins Gesicht empfunden, als Wiederauferstehung
des Nationalismus, ja des Nationalsozialismus.
Und den gilt es selbstredend zu bekämpfen.
Der Propagandaapparat
So wundert es nicht, daß Politiker und Medien
den jugoslawischen Präsidenten als »neuen
Hitler« diffamierten - ein propagandistischer
Schachzug, der übrigens bei Bedarf auch gern
gegenüber Saddam Hussein angewandt wird und
vor ihm gegen Chomeini und Gaddafi Verwendung
gefunden hatte. Das Kosovo wurde flugs zum
Schlachthaus, zum neuen Auschwitz deklariert.
Schröder, Fischer, Scharping und Konsorten
»würgten« hinter ihrer Betroffenheitsmaske mit
Begriffen wie »Deportation«, »Ausrottung«,
»Genozid«, »Konzentrationslager« und
»Vernichtungsfeldzug« eine - um einen Ausdruck
der TAGESZEITUNG zu gebrauchen - »Verbalpampe«
hervor. Und die BILD-ZEITUNG wußte
ausgerechnet am 1.4.99 mit einem halbseitigen
Photo auf der Titelseite und der Überschrift
»Sie treiben sie in KZ« zu schockieren. Dabei
zeigte das Bild lediglich albanische
Flüchtlinge auf dem Weg nach Albanien.
Die durch die Massenmedien und die
Bundesregierung bewußt aufgepeitschte
emotionale Stimmung war derart allumfassend,
daß es - außer einigen »linken« und »rechten«
Intellektuellen - niemanden gab, dieser
Volkverhetzung und dem schizophrenen Hang, das
bereits vor zwei Generationen untergegangene
Dritte Reich bekämpfen zu müssen,
entgegenzutreten. Die bundesdeutsche
Kriegsbeteiligung wurde als eine Art
»antifaschistischer Wiedergutmachung
verkauft«. Die Zeitschrift KONKRET urteilt da
schon richtig: »Scharping steigerte sich
zwecks Rechtfertigung seiner 'Luftschläge' in
einen unbändigen Haß auf Milosevic, den er
sich nun als neuen Hitler vorstellte, um sich
selbst als antifaschistischen Kommandeur
imaginieren zu können, der die Zufahrtswege
nach Auschwitz bombardieren läßt.« Es wäre
übrigens falsch anzunehmen, das der
vermeintliche Pazifist Joschka Fischer als
Minister zum Militaristen mutiert wäre. Im
Gegenteil, Fischer ging schnurstracks seinen
Weg: So wie früher als Berufsdemonstrant will
Fischer auch heute seine Vorstellung von
Humanismus - den Aktionen der Antifa nicht
unähnlich - mit Gewalt durchsetzen. »Daß
Fischer heute mit Kampfbombern realisiert, was
er damals mit Pflastersteinen versuchte, macht
ihn in der Logik des Humanismus nicht zum
Verräter (...) Auch die Machtträume wurden
schon damals (nicht nur von ihm) geträumt. Nur
daß Fischer diese Träume heute in und mit dem
deutschen Staat verwirklicht, wo Linksradikale
sie als Gegen(staats)macht gedacht haben.«
Langsam, aber bestimmt, galt es, das
kriegsmüde Volk psychisch auf den Krieg
vorzubereiten. Dem HAMBURGER ABENDBLATT v.
1.3.1999 beispielsweise konnte man entnehmen,
daß Scharping eine Teilnahme der Bundeswehr an
möglichen Luftangriffen auf serbische
Stellungen plötzlich nicht mehr ausschloß,
schließlich es sei wichtig, »daß Deutschland
sich entsprechend seinem internationalen
Gewicht engagiert«. Dies gelte auch für den
Fall, daß die Zustimmung der Serben zu einem
Friedensabkommen für die serbische
Krisenprovinz mit Luftangriffen erzwungen
(sic!) werden sollte.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General
Hartmut Bagger, bekräftige diese Absicht:
„Deutschland wird seiner Verpflichtung für
Frieden in Europa im Einklang mit seiner
geographischen Lage im Zentrum Europas, seiner
wirtschaftlichen Stärke und seinem Einfluß in
allen internationalen Schlüsselorganisationen
und -einrichtungen, die für den Frieden und
die Stabilität in Europa arbeiten,
nachkommen.“
Nebenbei machte sich eine sogenannte
Zukunftskommission »Gedanken« über die
Bundeswehr und ihren Auftrag im 21.
Jahrhundert. Bezeichnenderweise besteht diese
»Kommission« aus einem bunten Haufen
unterschiedlichster Vertreter des öffentlichen
Interesses, vor allem solchen, denen man nur
schwerlich ein militärisches Interesse,
geschweige denn eine militärische Kompetenz
nachsagen möchte: u.a. Richard von Weizsäcker,
der Publizist Theo Sommer, der Vorsitzende des
Zentralrats der Juden in Deutschland und die
ehemalige Bundestagsabgeordnete der Grünen und
Blumenverkäuferin Waltraud Schoppe. Als
Leitlinien für die Planungsarbeit gaben diese
militärischen »Fachleute« dem
Verteidigungsministerium u.a. vor »die
Einbindung Deutschlands in die NATO, die
Verstärkung der außen- und
sicherheitspolitischen Fähigkeiten der
Europäischen Union und die Unterstützung der
Vereinten Nationen, der OSZE« usw. usf. Nur
der einzige im Grundgesetz vorgesehene Auftrag
der Bundeswehr, nämlich der der
Landesverteidigung, taucht in dem Papier mit
keinem Wort auf! Davon abgesehen darf man wohl
fragen, mit welchem Recht und welcher Befugnis
sich diese Auserwählten in interne
Angelegenheiten der nationalen Streitkräfte
einmischen. Während eines Interviews im
ARD/ZDF-Morgenmagazin, einen Tag vor dem
NATO-Angriff, stellte der Vorsitzende des
Deutschen Bundeswehrverbandes Oberst Bernhard
Gertz fest, daß für einen militärischen
Einsatz der 3.000 in Mazedonien stationierten
Soldaten der Bundeswehr zwar kein Mandat mehr
bestünde, weil sie als Friedenstruppen
hingeschickt worden seien und sich die
Bedingungen nun geändert hätten, aber »es wäre
völlig falsch, die deutschen Soldaten jetzt
abzuziehen, das wäre ein absolut falsches
Signal - einmal an Milosevic, zum anderen aber
auch an unsere europäischen und NATO-Partner.
Denn die würden schlicht und ergreifend sagen,
'aha, die Deutschen, Feigheit vor dem Feind,
Fahnenflucht, die verschwinden jetzt, wenn's
brenzlig wird'. Das können wir uns mit Blick
auf unsere internationale Reputation nicht
leisten.« Natürlich nicht.
Und um in der Truppe aufkommendem Zweifel an
der Rechtmäßigkeit des Kriegseintritts
entgegenzutreten, stellte der
Bundeswehrverband sicherheitshalber zwölf von
Gertz unterschriebene Leitsätze auf, in denen
es u.a. heißt:
· Der DBwV hält an seiner Auffassung fest, daß
die Vereinten Nationen in die Lage versetzt
werden müssen, sowohl zwischen- als auch
innerstaatliche Konflikte im Sinne einer
wirksamen politischen Krisenprävention
verhindern bzw. lösen zu können. Wo
innerstaatliche Konflikte Formen eines
Bürgerkrieges annehmen, der zu
Massenvertreibung, Massenvernichtung und
Terror führt, müssen die UN dem Schutz von
Menschenrechten den Vorrang vor dem
Nichteinmischungsprinzip einräumen.
· Die Tatsache, daß die UN derzeit nicht in
der Lage sind, Konflikten der beschriebenen
Art wirksam zu begegnen (wie es sich z.B. bei
den gescheiterten Blauhelmoperationen in
Somalia und Bosnien gezeigt hat), kann und
darf nicht dazu führen, daß zivilisierte
Nationen der organisierten Mißachtung von
Menschenrechten tatenlos zusehen. Unsere
eigene deutsche Geschichte lehrt uns, wie
wenig eine Appeasement-Politik geeignet ist,
menschenverachtende Diktaturen rechtzeitig zu
stoppen. · Der DBwV hat keinen Zweifel daran,
daß der Einsatz der NATO verfassungs- und
völkerrechtlich legitimiert ist. (…) Deutsche
Soldaten handeln rechtmäßig, wenn sie die
ihnen erteilten Einsatzbefehle ausführen. Die
Luftschläge sind weder ein Angriffskrieg im
Sinne des Grundgesetzes, noch sind sie mit
flächendeckenden Bombardements gegen
Zivilbevölkerung in vergangenen Luftkriegen
vergleichbar. Insbesondere würden zum
Angriffskrieg die politische Absicht und die
Mittel gehören, einen raumgreifenden
Eroberungsfeldzug zu führen.
· Der Einsatz der NATO war und ist auch
notwendig. Nicht die NATO hat einen Krieg
begonnen, sondern Milosevic hat einen blutigen
Bürgerkrieg gegen die kosovo-albanische
Bevölkerung geführt. (…) Während der
Verhandlungen von Rambouillet hat er seine
Endlösung des Kosovo-Problems vorbereitet.
Deshalb ist das Vorgehen der NATO nicht
Aggression gegen einen souveränen Staat,
sondern humanitäre Nothilfe für entrechtete
und in Lebensgefahr befindliche Menschen.
Außenminister Joschka Fischer scheint der
neuen, politisch korrekten Sprachregelung, die
der Große Bruder in George Orwells Roman 1984
»Newspeak« nennt, Rechnung zu tragen, als er
die verdutzte Öffentlichkeit aufklärte, daß
»wir« gar keinen Krieg führen würden. Es
handele sich vielmehr um eine
»Krisenintervention«, um »einen humanitären
Einsatz«, um eine militärische
»Friedenserhaltung«, »-erzwingung«, »-mission«
usw., gar um ein »humanitäres
Völkermordverhinderungsmanöver« - oder
schlicht um »Peacekeeping«. Die Alt-68er, die
jetzt die Regierung stellen, scheinen die NATO
für den militärischen Arm von Amnesty
International zu halten. Auf den für die
öffentliche Akzeptanz benötigten Dummenfang
ging die offensichtlich gleichgeschaltete
Presse. »Durch die konsequente deutsche
Beteiligung an den Operationen des Bündnisses«
sei »der Stellenwert Deutschlands innerhalb
der NATO gestiegen. Wer mitkämpft, kann auch
mitreden.« , alberte DIE WELT. Und die
BERLINER MORGENPOST setzte im Boulevardstil
noch einen drauf: »Noch Tage nach dem
Einmarsch der Bundeswehr ist Prizren im
Freudentaumel. Selbst bei strömendem Regen
fahren hupende Autos mit albanischen Fahnen
durch die Stadt, immer wieder schießen
Rebellen in die Luft. Jetzt hat das deutsche
Militär das Sagen.«
Was ist Wahrheit?
Der Abschluß des in Rambouillet ausgehandelten
»Friedensabkommens« ist letzten Endes deshalb
nicht zustande gekommen, weil die NATO und
ihre Mitgliedstaaten darauf bestanden haben
und bestehen, daß NATO-Verbände unter
NATO-Kommando, nicht aber die VN mit einem
starken »Blauhelm-Kontingent«, die Einhaltung
des Abkommens überwachen. Durch den Annex B
zum Rambouillet Vertrag, der die
uneingeschränkte Besetzung Restjugoslawiens -
nicht nur des Kosovo - durch NATO Truppen
verlangte (was einer Art bedingungslosen
Kapitulation gleichkäme), stellten die USA und
ihre Büttel sicher, daß Jugoslawien ihrem
Vertragswerk nicht zustimmen konnte. In Art. 6
heißt es beispielsweise: »Die zur NATO
gehörenden Personen genießen unter allen
Umständen und zu jeder Zeit Immunität (...)
hinsichtlich sämtlicher verwaltungs-, straf-
oder disziplinarrechtlicher Vergehen, die sie
möglicherweise in der Bundesrepublik
Jugoslawien begehen.« In Art. 8 ist
festgehalten, daß das Personal der NATO sich
mit »seinen Fahrzeugen, Schiffen, Flugzeugen
innerhalb der gesamten Bundesrepublik
Jugoslawien inklusive ihres Luftraumes und
ihrer Territorialgewässer frei und ungehindert
sowie ohne Zugangsbeschränkungen bewegen
können« sollen. Kein Staat, der auf seine
Souveränität Wert legt, würde eine derartige
Provokation unterschreiben. Eine solche
Politik trägt erpresserische Züge - sie
erinnert geradezu an das Versailler Diktat!
Der Konflikt auf dem Amselfeld stellt einen
extrem gefährlichen Präzedenzfall dar: Die in
der NATO organisierten Militärmächte
überfielen mitten im Frieden und ohne
Kriegserklärung einen souveränen Staat, der es
gewagt hatte, gegen eine terroristische
Untergrundarmee - die »linksintellektuelle«
Zeitschrift KONKRET bezeichnet die UCK als
einen »marodierenden Freischärlerhaufen
konkurrierender maoistischer Sekten[, der]
innerhalb von zwei Jahren eine schlagkräftige
Terrorarmee werden konnte« - vorzugehen, die
sich mehr oder weniger zufällig überwiegend
aus Angehörigen einer nationalen Minderheit
zusammensetzt und dreist behauptet, für die
Unabhängigkeit/Autonomie »ihres« Volkes zu
kämpfen. Gregor Gysi ist zuzustimmen als er am
26.3.99 vor dem Bundestag meinte, jeder Staat
setze gegen derartige Bestrebungen Militär
ein. Das war in den sechziger Jahren in
Südtirol so, das war und ist im Baskenland und
in Nordirland so, das ist vor allem im
kurdischen Gebiet der Türkei und in
Tschetschenien so. Der albanische
Bevölkerungsteil auf dem Amselfeld stellt
Einwanderer dar, die im Laufe der Jahrhunderte
in das Herz Serbiens eingedrungen waren und
sich in den letzten Jahrzehnten
überproportional vermehrt haben. Gibt ihnen
ihr Geburtenüberschuß schon ein Recht auf
Autonomie oder gar Unabhängigkeit? Falls ja,
dann hat doch wohl auch der türkische
Bevölkerungsteil in Berlin-Kreuzberg einen
Anspruch auf einen eigenen Stadtstaat?!
Nicht jeder Zeitgenosse hat den Blick für das
Hintergründige aus den Augen verloren. Das
gibt Hoffnung. Peter Nadelhaft etwa meint in
seinem Leserbrief an die NEUE ZÜRCHER ZEITUNG
vom 15.10.99: »Werfe ich einen Blick in meine
Geschichtsbücher aus der Schulzeit, so kommt
mir der Gedanke, daß sicher auch jetzt in
irgendeiner Schublade ein Geheimprotokoll
existiert, in welchem sich die NATO die
Zurückhaltung der Russen in Jugoslawien
erkauft hat für ein Versprechen, bei einem
allfälligen Krieg in Tschetschenien in die
andere Richtung zu schauen. Das sind uralte
Verhaltensmuster von Großmächten. Ein erneuter
Blick in die Geschichtsbücher zeigt auch, daß
die Mächtigen schon immer bemerkenswerte
Fähigkeiten zeigten, ihre Machtpolitik in ein
geeignetes Marketing zu verpacken, sei nun der
Aufhänger angebliche Besorgnis um
Menschenrechtsverletzungen, angeblich
notwendiger Zugang zu Alpenpässen, angeblich
knapper Raum für das eigene Volk oder
ähnliches.« Gewiß kein an den Haaren
herbeigezogener Gedankengang.
Humanitäre Motive? Schutz der Menschenrechte?
»Die Völkergemeinschaft« könne nicht zusehen,
wie wehrlose Zivilisten ermordet werden, so
oder ähnlich begründete die Bundesregierung
ihren Kriegseinsatz gegen Jugoslawien.
Pikanterweise haben deutsche Gerichte noch
wenige Monate vor Kriegsbeginn in mehreren
Urteilen festgestellt, daß Kosovo-Albaner
nicht dem Asylrecht unterliegen. Inwiefern
kann man dann aber ernsthaft von einer »Mißachtung
der Menschenrechte im Kosovo« sprechen?
Nur gut, daß dieser Krieg, Bonner bzw.
Berliner Erklärungen zufolge, nicht gegen das
serbische Volk, sondern gegen Milosevic
gerichtet wurde! Nur seit wann bitte ist es
humanitär, auf arbeitende Menschen in
Jugoslawien, auf ihre Arbeitsplätze und
Wohnungen Bomben abzuwerfen? Wieso nützt die
Zerstörung von Zigarettenfabriken und -zig
anderer Fabriken in Serbien den Kosovaren?
Auch das Kosovo wurde in Trümmer gebombt. Im
Interesse der albanischen Bevölkerung?
Die NATO zerstörte systematisch in ganz
Jugoslawien die Energie-, Wasser- und
Lebensmittelversorgung. Mußten aus
»humanitären Gründen« die Hauptstadt und große
Teile der Infrastruktur Jugoslawiens zerstört
werden? Ach so, dies waren ja nur »Kollateralschäden«.
Sorry Serbs!
Ein vermeintliches Recht auf humanitäre
Intervention »existiert nur in der Phantasie
derer, die von einem Weltstaat mit einer
Weltpolizei träumen.« Und selbst dann
»bedürfte es klarer Rechtsregeln und Gesetze.
Niemand ist befugt, sich ein
Interventionsrecht anzumaßen, unter welchen
Vorwänden auch immer. Zu den unabdingbaren,
international gültigen Menschenrechten zählt
laut UNO-Charta zum Beispiel auch das Recht
auf Arbeit.« Stehen künftig vielleicht Staaten
in Gefahr »humanitär interventiert« zu werden,
in denen Massenarbeitslosigkeit herrscht und
deswegen vielen Menschen ein zentrales
Grundrecht vorenthalten wird?
Wenn Völkermord, Vertreibung und Folter der
Maßstab militärischer Einsätze gegen andere
Völker und Länder wäre, dann müßte die NATO
konsequenterweise zum Beispiel auch China und
die Türkei bombardieren, was freilich nicht
absehbar ist. Tatsächlich ist die Politik
gutmenschlicher Regierungen, die sich
angeblich der »Verteidigung von
Menschenrechten« verschrieben hat, hochgradig
unglaubwürdig, da sie mit zweierlei Maß mißt.
Plastisches Beispiel: die Verhaltensmaßnahmen
gegenüber Ruanda. Noch vor wenigen Jahren
wurden vor den Augen der sensationsgeilen
Fernsehwelt etwa 700.000 Neger des Stammes der
Tutsi in Ruanda abgeschlachtet, ohne daß sich
der Weltpolizist veranlaßt gesehen hätte,
einzugreifen. Muß man daraus etwa
schlußfolgern, daß Clinton ein Rassist ist, da
ihm offensichtlich das Leben eines weißen
Kosovo-Albaners mehr wert ist als Hunderte
schwarzer Tutsis? Davon einmal abgesehen:
Unterdrückung und Vertreibung, also jene
Schandtaten, die den Serben im Zusammenhang
mit den Albanern im Kosovo vorgeworfen werfen,
stehen in Israel seit 50 Jahren gegen die
Palästinenser an der Tagesordnung.
Feindstaatenklauseln
Deutsche Soldaten standen während des Krieges
der NATO gegen Serbien Schulter an Schulter -
oder besser: Flugzeugtragfläche an
Flugzeugtragfläche - mit französischen,
britischen, US-amerikanischen und anderen
Soldaten der »westlichen Wertgemeinschaft« mit
Herz und Hand ein für Humanität, Demokratie
und Menschenrechte. Endlich durften die
Bundesdeutschen ihre absolute Verläßlichkeit
als Partner der gutmenschlichen
Staatengemeinschaft unwiderlegbar unter Beweis
stellen. Und das in einem militärischen
Bündnis, das vor exakt 50 Jahren gegründet
worden war, um, so die Worte des ersten
NATO-Generalsekretärs Lord Hastings Lionel
Ismay, die »Amerikaner drinnen, die Russen
draußen und die Deutschen drunten« zu halten.
Schwamm drüber! Vorbei ist nun die Zeit, in
der die totale Gefolgschaft nur in Form von
Lippenbekenntnissen oder als maßgeblicher
Geldgeber über die Bühne gehen konnte. Endlich
stand man als Alliierter in action auf der
»richtigen Seite« - wenn da nur nicht die
häßlichen Feindstaatenklauseln der VN-Charta
wären!
Und diese sind alles andere als Schnee von
gestern oder galant zu übergehen. Selbst die
Jungen Liberalen Bayern forderten (sic!)
bereits während ihres 21. Landeskongresses im
Oktober 90 »hiermit die Bundesregierung auf,
sich bei den Vereinten Nationen (UNO) dafür
einzusetzen, daß die überkommenen
Feindstaatenklauseln der UNO gegen die
Bundesrepublik Deutschland und Japan
aufgehoben werden.« Wie kamen die Klauseln
zustande und was besagen sie? »Zur
Gründungszeit der Vereinten Nationen wurde die
Rechtsnachfolgerin des Dritten Reichs, die
Bundesrepublik Deutschland, noch als
(zumindest latenter) Feind betrachtet. In der
UN-Charta fand folgerichtig diese Wertung in
den Artikel 53 und 107 Einzug. Die
Bundesrepublik Deutschland wurde hierdurch,
mit Wirkung bis heute, als Feindstaat
definiert. Auch wenn aus der UN-Mitgliedschaft
Deutschlands eine weitgehende Relativierung
dieses Status resultiert, bleibt doch
zumindest der Eindruck einer Stigmatisierung
bestehen.« Wenn es doch nur eine
Diskriminierung oder ein Brandmal wäre! Nach
der Satzung der VN ist es allen Staaten, die
z.Zt. der Unterzeichnung der Charta Feinde
Deutschlands, Japans und deren Verbündeten
waren, also die Siegerstaaten und unter ihnen
auch Rußland und Jugoslawien erlaubt, in der
BRD »einzugreifen«, wenn sie sich einer
»Aggression« schuldig macht. Ein solcher
Zustand spricht nun nicht gerade für den
Souveränitätsstatus der BRD. Da wundert es
denn auch nicht, daß kein Feindstaat des 2.
Weltkrieges je einen Friedensvertrag mit
Deutschland geschlossen hat, im Grunde
genommen also lediglich ein Waffenstillstand
herrscht.
Nach der Charta der Vereinten Nationen trägt
der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für
die Wahrung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit (Art. 24). Er kann
Regionalorganisationen mit der Durchführung
von Zwangsmaßnahmen beauftragen, falls diese
geeignet sind, den »Weltfrieden« zu wahren.
Umgekehrt dürfen die Regionalorganisationen
nicht von sich aus Zwangsmaßnahmen ergreifen.
Von dieser letzteren Regel gibt es nach Art.
53 eine Ausnahme, nämlich Zwangsmaßnahmen
gegen Staaten, die während des Zweiten
Weltkriegs Feind eines der Unterzeichner der
Charta waren. Dies traf auf Deutschland und
Japan zu. Nach der VN-Charta sollten die
Mitgliedsstaaten dem Sicherheitsrat Truppen
zur Verfügung stellen, um diesen in die Lage
zu versetzen, seine friedenserzwingenden
Maßnahmen wirksam durchführen zu können. Bis
diese Truppen aufgestellt waren, sollten nach
Art. 107 die ständigen Mitglieder des
Sicherheitsrats nach entsprechenden Beratungen
untereinander und mit anderen Mitgliedsstaaten
»Maßnahmen« gegen die Feindstaaten ergreifen
können, um den Weltfrieden und die
internationale Sicherheit zu gewährleisten.
Verständlich, daß unter solchen Umständen die
offiziellen Stellen der BRD seit Jahren -
selbstredend in der ihnen geziemenden
Zurückhaltung - versuchen, die Annullierung
dieser brisanten Klauseln regelrecht
durchzubitten. Und wenn es mit der geradezu
infantilen Bemerkung geschieht, die
Feindstaatenklauseln würden keinen Sinn mehr
ergeben. 1994 verstieg sich die
Bundesregierung sogar zu der kecken Äußerung,
daß die Feindstaatenklauseln der Charta
obsolet und nicht länger anwendbar seien -
freilich ohne hierfür den Beifall der
Generalversammlung der Vereinten Nationen
erhalten zu haben. »Die Bundesregierung ist
der Auffassung«, so das Auswärtige Amt, »daß
die Feindstaatenklauseln der Bundesregierung
spätestens mit dem Beitritt der beiden
deutschen Staaten zu den Vereinten Nationen im
Jahr 1973 gegenstandslos geworden sind. Die
Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland
seitdem dreimal dem Sicherheitsrat angehörte
und während einer Sitzungsperiode den
Präsidenten der Generalversammlung gestellt
hat, zeigt deutlich, daß sie in den Vereinten
Nationen die vollen Rechte eines
gleichberechtigten Staates ausübt. Mit dem
Inkrafttreten der abschließenden Regelung,
durch die die Rechte und Verantwortlichkeiten
der Vier Mächte in bezug auf Berlin und
Deutschland als Ganzes beendet wurden (2 + 4
Vertrag), gilt dies für das vereinte
Deutschland erst recht.« Hierüber ließe sich
freilich streiten, der Hasenfuß kommt aber
noch: Das Max-Planck-Institut berichtet: »Die
Bundesregierung führte weiter aus, daß eine
förmliche Aufhebung der Feindstaatenklauseln
nicht ohne weiteres möglich sei, da hierzu das
Änderungsverfahren nach der Charta der
Vereinten Nationen eingehalten werden müsse.«
Und dies wird, dem Auswärtigen Amt zufolge, in
absehbarer Zukunft kaum geschehen, da die
überwiegende Mehrheit der VN-Mitgliedsstaaten
»die Notwendigkeit des relativ aufwendigen
Verfahrens einer Charta-Änderung eigens zum
Zweck der Streichung dieser Bestimmungen nur
schwer einsieht« - und zwar, weil sie die
Feindstaatenklauseln als irrelevant
betrachteten.
Wahrung kapitalistischer Interessen zur
Schaffung eines Welt-Einheitstaates
Was sind die Kriegsziele der NATO? Um es auf
den Nenner zu bringen: Profit- und
Machtinteressen. Auf lange Sicht geht es um
den sicheren Zugang zu den Rohstoffen Rußlands
und der umliegenden Ölregionen. Die
amerikanisch-europäische Militärpräsenz auf
dem Balkan soll die Interessen der Firmen
ihrer Länder durchsetzen und den freien Zugang
zum Kaukasus herstellen.
Martin Singe, Redakteur des FriedensForums und
Sekretär des Komitees für Grundrechte und
Demokratie in Köln, hat dankenswerterweise
zuerst darauf aufmerksam gemacht, daß anhand
drei öffentlich zugänglicher Dokumente belegt
werden kann, wohin die Reise der »neuen NATO«
und die »Sicherheits- und Stabilitätspolitik«
der USA und ihrer Paladine geht. Es handelt
sich hierbei erstens um das neue Strategische
Konzept der NATO, das diese 1991 - ein halbes
Jahr nach dem ersten Golfkrieg - in Rom
verabschiedet hat (im folgenden zitiert als
»NATO«), zweitens um die
Verteidigungspolitische Richtlinien (VPR) des
ehemaligen Bundesverteidigungsminister Volker
Rühe von 1992 und drittens um das Weißbuch von
1994. Macht man sich die Mühe, und studiert
diese drei Dokumente im Zusammenhang, dann
wird schnell deutlich, wie rasch die NATO sich
aus ihrer kurzfristigen Orientierungslosigkeit
(Verlust des Feindbildes zu Beginn der
neunziger Jahre) erholt hat und nun sozusagen
den USA global als Erfüllungsgehilfin für die
Absicherung ihrer wirtschaftlichen und
politischen Weltherrschaftsposition zur
Verfügung steht.
Im Kapitel 8 der VPR ist die allgemeine
Zielrichtung dargelegt: »Aufrechterhaltung des
freien Welthandels und des ungehinderten
Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller
Welt im Rahmen einer gerechten
Weltwirtschaftsordnung.« Bereits im
NATO-Papier von 1991 hieß es hierzu
bestätigend, daß die Sicherheitsinteressen des
Bündnisses von Risiken wie z.B. »der
Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger
Ressourcen« berührt werden können. »In einer
interdependenten Welt sind alle Staaten
verwundbar, unterentwickelte Länder aufgrund
ihrer Schwäche und hochentwickelte
Industriestaaten aufgrund ihrer empfindlichen
Strukturen. Jede Form internationaler
Destabilisierung beeinträchtigt den sozialen
und wirtschaftlichen Fortschritt ... Kommt es
zu solchen Fehlentwicklungen, werden
zerstörerische Einflüsse auch in die
hochentwickelten Gesellschaften getragen.« (VPR,
23) »Deutschland ist aufgrund seiner
Interessen, seiner internationalen
Verflechtungen und Verpflichtungen vom
gesamten Risikospektrum betroffen.« (Weißbuch,
255) »Unter den neuen sicherheitspolitischen
Verhältnissen läßt sich Sicherheitspolitik
weder inhaltlich noch geographisch eingrenzen.
... Risikovorsorge muß folglich als erweiterte
Schutzfunktion verstanden werden. (…)
Zukünftig muß aber politisches und
militärisches Krisen- und Konfliktmanagement
im erweiterten geographischen Umfeld eindeutig
im Vordergrund unserer Maßnahmen zur
Sicherheitsvorsorge stehen.« (VPR, 24, 25)
»Wirtschaftliche Dynamik und technologische
Innovation, der Wettbewerb um künftige Märkte
und Ressourcen bestimmen den internationalen
Einfluß eines Landes heute mehr als
militärische Macht. Neue politisch-ökonomische
Zentren formieren sich. Vor diesem Hintergrund
kann sich kein Staat der wachsenden Dynamik
und Interdependenz der Weltwirtschaft
entziehen.« (Weißbuch, 213)
Dieser Neuformulierung der
Sicherheitsinteressen entspricht der in den
Dokumenten beschriebene Funktionswandel des
Militärs. Krieg, wird zu einer normalen
Kategorie im Spektrum der Möglichkeiten von
Krisenbewältigung: »Für einen Erfolg der
Bündnispolitik ist ein von der politischen
Führung des Bündnisses festzulegender
kohärenter Ansatz erforderlich, wobei sie nach
Bedarf die geeigneten
Krisenbewältigungsmaßnahmen aus einer Palette
politischer und sonstiger Optionen, darunter
auch aus dem militärischen Bereich, auswählt
und koordiniert.« (NATO, 33) Dabei wird
deutlich hervorgehoben, daß die militärische
Option nicht mehr von einem vorher
stattgefundenen oder unmittelbar
bevorstehenden Angriff abhängig sein dürfe.
(vgl. VPR, 39, 49) Militäreinsätze sind in
dieser Strategie nicht die viel beschworene
ultima ratio, sondern können genauso gut die
prima ratio sein.
Im Umfeld der NATO-Regierungen spricht man
bereits von einem »neuen Marshall-Plan« für
das Kosovo. Was heißt das? Die gutmenschlichen
Baumeister einer »Neuen Ordnung« lassen
Industrie und Infrastruktur Jugoslawiens
zerstören, um sie mit eigenem Kapital
wiederaufzurichten. So paradox eine solche
Zielsetzung klingen mag, sie entspricht der
Logik des Kapitalismus: In den
kapitalistischen Kernländern besteht enormer
Kapitalüberschuß. Unsummen von Kapital können
gar nicht profitträchtig genug verwertet
werden. Also zwei Fliegen mit einer Klappe
schlagen: Krieg beschert der Rüstungsindustrie
Milliardenumsätze und Kapitalvernichtung durch
Militäreinsätze schafft neue Möglichkeiten zur
Anlage des Kapitalüberschusses, wobei sich das
angegriffene Land - quasi als willkommener
Nebeneffekt - unsagbar verschulden muß.
Multikultur
Allerdings bin ich ferner auch der Meinung,
daß neben den Kriegsgewinnen und der Eroberung
neuer wirtschaftlicher Ressourcen ein weiteres
wichtiges Kriegsmotiv nicht übersehen werden
sollte: Die NATO und damit auch die
Bundeswehr, die beide von linksliberalen bis
sozialistischen Politikern geführt werden,
beseitigen in der ihnen selbst verliehenen
Rolle des Weltpolizisten die nationale
Souveränität der Völker und lösen ethnische
Grenzen zugunsten großer Wirtschaftsräume
gewaltsam auf. Gerade durch die Multikultur
ist garantiert, daß innere Spannungen ent- und
dauerhaft bestehen, die jederzeit genutzt
werden können, ein Land nach Bedarf zu
destabilisieren. Multikulturelle Spannungen
machen, dies hat uns die Geschichte anhand
vieler Beispiele gelehrt, auf Dauer jedes Land
mürbe und für Bürgerkriege anfällig. Mit der
Ablehnung der Multikultur hat sich Serbien
gemäß den welteinheitlichen Richtlinien der
»Internationalen Gemeinschaft« als Weltfeind
ausgewiesen und ist fortan zum Freiwild für
die Globalisten geworden.Der bereits oben
zitierte Friedensforscher Mechtersheimer
erklärt in diesem Zusammenhang sogar die
überraschende NATO-Treue der Berliner
Linkskoalition :
„Grüne und Sozialisten sind mehrheitlich eben
doch getarnte Internationalisten. Ihr Credo
ist das Antinationale. Und deshalb
unterstützen sie, weil es die Kommunisten als
machtpolitischen Faktor nicht mehr gibt, die
westlichen Internationalisten, die mit der
NATO unter US-Führung ihren supranationalen
Träumen von einem Weltstaat am besten
entsprechen. Nur so ist zu erklären, weshalb
sie alle völker- und verfassungsrechtlichen
Normen mit Füßen treten.“
Diese nachvollziehbare Erklärung wird sogar
seitens der NATO unumwunden bestätigt. Dem
Kommandeur der NATO-Truppen in Europa, General
Wesley Clark, platzte es am 24.4.99 im CNN
heraus: »In einem modernen Europa ist kein
Platz für 'ethnisch reine' Staaten oder
Völker. Das ist eine falsche Idee aus dem 19.
Jahrhundert. Wenn wir ein modernes Europa in
das 21. Jahrhundert hinüberretten wollen, dann
werden wir dies mit multi-ethnischen Staaten
vollziehen.“
Und für die, die es immer noch nicht wahrhaben
wollen: Ein hochrangiger Beamter des
US-Außenministeriums gab gegenüber der
amerikanischen Zeitung SPOTLIGHT ohne Scham
das hochgesteckte Endziel zu: »Es ist wichtig,
die NATO von den Einschränkungen ihrer eigenen
Grundsätze zu befreien, damit der Plan zu
einer Weltregierung einen Schritt weiter
vorangetrieben werden kann (...) Obwohl es
gegen die Statuten der NATO verstößt, kann die
NATO jetzt auf der ganzen Welt jeden Staat
angreifen. Damit hat sich die Rolle der NATO
als UN-Weltarmee gefestigt.«
Die Straße frei den Globalisten
Am 23. März 1999 erklärte der deutsche
Bundeskanzler vor laufenden Fernsehkameras,
daß ihm der jugoslawische Präsident Milosevic
keine andere Wahl gelassen habe, als daß er,
Schröder, »unsere jungen deutschen Soldaten«
für den Kriegseinsatz nach Serbien schicken
müsse. Wie wir gesehen haben, ist aufgrund des
nationalen und internationalen Völker- und
Verfassungsrechts das Gegenteil richtig. Von
einem Zugzwang oder einer Ausweglosigkeit kann
keine Rede sein. Tatsächlich waren
militärisch-stragische, politische und
wirtschaftliche Motive für den Angriffskrieg
ausschlaggebend. Zusätzlich kommt neben diesen
Komponenten aber noch eine weitere, eine
besondere, eine bundesdeutsche hinzu:
Nach Beendigung der Kampfhandlungen lieferte
Schröder eine geradezu sensationelle
Interpretation über die Rolle Deutschlands im
Kosovo-Krieg. Der Bundeswehreinsatz sei
geeignet, die »historische Schuld wenn nicht
vergessen, dann doch verblassen« zu lassen.
Diese dubiose Formulierung aus dem Munde des
Kanzlers widerspiegelt das gängige
Geschichtsbewußtsein in der BRD. Es fragt
sich, ob Schröders Aufrechnung zwischen »guter
Gegenwart« und »böser Vergangenheit« aufgeht.
Die Bundeswehr im Kosovo also als eine Art
Imagepflege , als besondere Form von
Wiedergutmachung? Die sogenannte »neue
Bundeswehr« hat mit überraschender
Flexibilität alle früheren Gewissensbisse und
Einsatzbeschränkungen überwunden und bereitet
sich auf Interventionseinsätze in aller Welt
vor. Die NATO will sich mit dem Recht des
Stärkeren auf ehemalige Ostblockstaaten
erweitern - hieran hat die Bundeswehr größten
Anteil, wie der Generalinspekteur der
Bundeswehr, General Hartmut Bagger, auf einer
Tagung des South African Defence College am
23.2.98 in Pretoria stolz verkündet hat .
Diese Entwicklung wird auf langer Sicht
Konsequenzen mit sich ziehen, denn mit der
Aufnahme der Tschechei und Polens und anderer
mittelosteuropäischer Staaten steht die NATO
de facto an der Westgrenze Rußlands. Es ist
nicht zu erwarten, daß ein eines Tages
regeneriertes Rußland diese Provokation als
Selbstverständlichkeit einfach hinnehmen wird.
Wo werden künftig die Grenzen für
»Friedensmissionen« gezogen? Wird die NATO in
absehbarer Zeit Luftangriffe gegen die Türkei
fliegen, um die Autonomie der Kurden unter
Führung der PKK zu erzwingen? Wird vielleicht
demnächst die Schweiz von der NATO bombardiert
werden, falls sie so »uneinsichtig« bleibt und
sich weiter weigert, der den VN und der EU
beizutreten? Stehen künftig Völker und
Kulturen auf der Abschußliste, bei denen
Klitorisbeschneidungen durchgeführt oder
Hanffelder angebaut werden? Werden die
Gutmenschen demnächst Staaten mit
Bombenteppichen überziehen, die mit ihnen
keine Auslieferungsabkommen abgeschlossen
haben oder politische Flüchtlinge aus den
»guten Staaten« aufnehmen? Können angesichts
der sich abzeichnenden neuen Weltordnung
diejenigen Länder wirklich noch straffrei
ausgehen, in denen Homosexualität
strafrechtlich verfolgt wird und
gleichgeschlechtliche Hochzeiten nicht möglich
sind?
»Humanitäre« Einsätze werden also in Zukunft
an der Tagesordnung stehen - und jeden
souveränen Staat kann es treffen. Gestern
Grenada, Panama, Afghanistan, Sudan und
Serbien, morgen vielleicht schon Südafrika,
Zypern, Pakistan, Frankreich und Brandenburg?
Ja, ganz recht! Verschiedene Städte
Südfrankreichs, in denen die Front National
den Bürgermeister stellt, und in Deutschland,
wo sogenannte rechtsradikale Hochburgen
bestehen sollen, so angeblich in Brandenburg
und in Magdeburg, sind dem US-amerikanischen
Nachrichtenmagazin Time zufolge bereits als
mögliche Angriffsziele auf der Abschußliste
markiert.
Was die Interessenvertreter der NATO, allen
voran die Amerikaner, derzeit planen und
durchführen, läuft auf reine globale
Machtpolitik hinaus: Weltweite Aufdrängung
ihrer Wertordnung und Durchsetzung der eigenen
Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen durch
militärische Interventionen. Das ehemals
nordatlantische Verteidigungsbündnis ist zu
einem globalen Interventionsverband verkommen,
der alle freiheitsliebenden Völker bedroht -
unabhängig ihres Kulturerbes oder ihrer
geographischen Lage. Die neue NATO-Doktrin
gleicht einem Freibrief zur weltweiten
Einmischung, an deren Ende eine neue
Weltordnung steht - falls sich diese
Globalstrategie durchsetzt. Aber wer sollte
sich ihr schon wirksam widersetzen?
Dr. Claus Nordbruch
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