Suche nach
Wiskiauten
Russische
und deutsche Archäologen haben in der
Ostsee-Exklave Kaliningrad (Königsberg)
Siedlungsspuren entdeckt, die möglicherweise zum
legendären Wikinger-Handelsplatz Wiskiauten
führen. Der Fundort liegt auf einem Feld nahe
der Kurischen Nehrung etwa drei Kilometer
südlich des Seebades Selenogradsk (Cranz). Die
in knapp einem Meter Tiefe freigelegten
Feldsteinpackungen, Reste eines Brunnens und
mehrerer Häuser, stammen ungefähr aus dem 12.
Jahrhundert. "Das ist zwar noch etwas jung, gut
zwei Jahrhunderte fehlen uns schon noch bis in
die Wikingerzeit", sagt der deutsche
Grabungsleiter Timo Ibsen. "Aber wir sind auf
der richtigen Spur."
Der Kieler Archäologe und seine Kaliningrader
Kollegen Wladimir Kulakow und Konstantin
Skworzow suchen seit Jahren nach dem
verschollenen Ort. Wiskiauten ist eines der
letzten großen archäologischen Geheimnisse im
Ostseeraum. Auch nach 160 Jahren
frühgeschichtlicher Forschung im einstigen
Ostpreußen weiß niemand, wo der legendäre Ort
lag. Bekannt ist nur ein Gräberfeld auf einem
flachen Hügel namens Kaup nahe des heutigen
Dorfes Mochowoje, das schon 1865 entdeckt wurde.
Amateur-Archäologen der Königsberger
Altertumsgesellschaft "Prussia" bargen aus den
mehr als 500 Gräbern kostbare Beigaben: silberne
Fibeln, Schwerter und Lanzenspitzen, Schmuck,
sogar Reste von Trachten, alles in unverkennbar
skandinavischer Prägung. Die ältesten
Wikingergräber gehen zurück bis in das 9.
Jahrhundert. "Es gibt sehr viele Frauengräber.
Darum gehen wir davon aus, dass die Menschen aus
dem Norden nicht auf Beutezug herkamen, sondern
hier lebten, in einer multiethnischen
Siedlungsgemeinschaft mit Dänen, Goten und den
einheimischen Prussen", meint Kulakow, Leiter
der baltischen Expedition am Nationalen
Archäologie-Institut Russlands. Er forscht seit
den 70er Jahren auf den Spuren Wiskiautens und
seiner Nekropole und hat dort viele Funde
geborgen – immer im Wettlauf mit
illegalen Raubgräbern. Die haben schon Dutzende
Hügelgräber geplündert und gehen immer
professioneller vor.
Die Wissenschaft stellt Wiskiauten in eine Reihe
mit Haithabu bei Schleswig, mit Ralswiek auf
Rügen, der Vineta-Insel Wolin und dem ebenfalls
lange verschollenen, erst vor wenigen Jahren
entdeckten Truso bei Elblag (Elbing) am Frischen
Haff. Das Handelsnetzwerk der Wikinger entlang
der Küste ist gut erforscht. Nur Wiskiauten
fehlt. Als sicher gilt, dass es direkten Zugang
zum Wasser hatte. Die Skandinavier waren
Bootsfahrer. Drei Kilometer nordöstlich der
Grabungsfläche beginnt das Kurische Haff, eine
große Süßwasserlagune, die durch die Nehrung von
der Ostsee getrennt wird. "Vor tausend Jahren
lag die Öffnung zum Meer noch hier im Süden der
Landzunge und nicht wie heute am nördlichen
Ende. Durch diese strategisch günstige Lage
wuchs Wiskiauten in seine Bedeutung", erklärt
Ibsen.
Im Frühling 2006 untersuchten deutsche Geologen,
wie weit sich das Haff in der Wikingerzeit nach
Süden ausdehnte. Parallel dazu lief eine der
größten geomagnetischen Erkundungen, die die
Archäologie in Nordeuropa je auf die Beine
gestellt hat. Tagelang schleppten Spezialisten
der Kieler Universität mit einem Traktor ein
Georadargerät über den hart gefrorenen Acker
rings um den Gräberhügel. Am Ende hatten sie
mehr als 60 Hektar gescannt. "Die Geomagnetik
hat fantastische Ergebnisse geliefert", sagt
Ibsen. "Man kann sogar den Verlauf von Wegen
erkennen."
An den ersten Strukturen wurden die
Wissenschaftler sofort fündig. Unter anderem
bargen sie eine byzantinische Münze, Beleg für
den Fernhandel der Balten. Motor der
Wirtschaftsbeziehungen in den Orient war
Bernstein, das Gold der Ostsee. Für dieses Jahr
sind die Ausgrabungen fast beendet. In den
nächsten Monaten werden die Ergebnisse am
Archäologischen Landesmuseum Schloss Gottorf in
Schleswig-Holstein ausgewertet. Die Ergebnisse
stellt das Team ins Internet. Die Funde bleiben
im Kunsthistorischen Museum von Kaliningrad.
Vor Ort hat die archäologische Forschung einen
Wiskiauten-Kult ausgelöst. Das Seebad
Selenogradsk möchte aus seiner Frühgeschichte
touristisches Kapital schlagen. Kaliningrads
Chef-Archäologe Kulakow sieht das mit gemischten
Gefühlen: "Eigentlich arbeiten wir lieber im
Stillen. Zu viel Lärm lockt Raubgräber an. Und
die haben hier schon genug kaputt gemacht."
Thoralf
Plath
|