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Das deutsch-russische Bündnis

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„Tauroggen 1812“

 

ÐÓÑÑÊÎ-ÍÅÌÅÖÊÈÉ ÑÎÞÇ «Òàóðîããåí 1812»

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1812: Die Konvention von Tauroggen

 

In der Nacht vom 23. auf den 24. Juni 1812 überschritt Napoleons Grande Armee auf breiter Front den russischen Grenzfluß Njemen (Memel) - mit über 500 000 Mann, 100 000 Pferden und 1 100 Kanonen das gewaltigste Heeresaufgebot in der bisherigen Geschichte. Nur etwa 250 000 Mann waren Franzosen, die andere Hälfte rekrutierte sich aus Soldaten nahezu aller Völker Europas. Zahlenmäßig besonders stark vertreten waren die Hilfskorps aus Bayern und Österreich, gefolgt von Preußen. Erst am 16. August, sieben Wochen nach Feldzugsbeginn, stellten sich die Russen nach ermüdender Hinhaltetaktik bei Smolensk und am 5. September bei Borodino, nurmehr knapp hundert Kilometer von Moskau entfernt, zur Schlacht.

Beide Male siegte Napoleon - beide Male waren es klassische Pyrrhussiege, die keinerlei Entscheidung brachten, doch auf beiden Seiten hohe Verluste kosteten. Und immer noch zogen sich die Russen weiter nach Osten zurück - "so Gott will bis zum Ural und noch weiter", wie man im Stab des kriegserfahrenen Marschalls Kutusow, des Oberbefehlshabers der Zarenarmee, zu sagen pflegte, obgleich es dort, auch das muß erwähnt werden, nicht nur Befürworter, sondern ebenso zahlreiche Gegner dieses ewigen Zurückziehens gab.

Mit dieser Ausweichstrategie, zu der sich rasch die Taktik der verbrannten Erde gesellte, hatte Napoleon keineswegs gerechnet. Einen Blitzkrieg hatte er zu führen gedacht, und zwar ohne allzu tief nach Rußland einzudringen, mit einer oder zwei Entscheidungsschlachten, die das russische Heer vernichten und Zar Alexander I. friedenswillig machen sollten. "Wie wenig der Korse mit einem ausgedehnten Feldzug in den Weiten Rußlands rechnete wird auch daran deutlich, daß seine Armee ohne Winterausrüstung in den Kampf zog. Einen Blitzkrieg gedachte Napoleon zu führen - genauso wie Adolf Hitler einhundertneunundzwanzig Jahre später, was sich hier wie dort als entscheidender Irrtum erweisen sollte." (Georg Florian)

Am 14. September besetzte das nur noch rund einhunderttausend Mann zählende Gros der Grande Armee Moskau, "diese im Goldglanz funkelnde Stadt, der herrliche Vereinigungspunkt von Asien und Europa", wie der französische Kriegsteilnehmer Graf Ségur vermerkte. Der Kaiser bezog Quartier im Kreml. Das russische Heer aber blieb nun, da ihm das französische nicht mehr folgte, ein paar Meilen hinter Moskau stehen.

Bereits am 15. September, einen Tag nach dem Einzug der Franzosen, flackerten überall in Moskau Brände auf. Rasch griffen sie in der fast ausschließlich aus Holzgebäuden bestehenden Stadt um sich, und es dauerte bloß drei, vier Tage, bis nahezu ganz Moskau in Flammen stand.

Napoleon saß im Kreml, schaute auf die verglimmende Asche der Stadt, wartete auf eine Antwort oder gar auf ein Friedensangebot des Zaren, doch Alexander I. würdigte ihn keiner Antwort. Er hatte inzwischen den Krieg gegen die Eindringlinge zum "Vaterländischen Krieg" erklärt.

Rückzug in die Katastrophe

Sechsundzwanzig Tage lang wartete der Kaiser der Franzosen nutz- und tatenlos im Kreml. Darüber verpaßte er den richtigen Zeitpunkt für den Rückmarsch, und als er ihn dann am 10. Oktober endlich antrat, hatten Krankheiten seine Armee bis auf 80 000 Mann dezimiert, die Witterungsverhältnisse spitzten sich dramatisch zu und sagten den Eindringlingen den Kampf an. Zudem machte der Hunger zu schaffen.

Denn die Russen hatten auf ihrem Rückzug nach Moskau rigoros die Taktik der verbrannten Erde betrieben, und alles, was dem Feind hätte von Nutzen sein können - Städte, Dörfer, Gutshöfe, Bauerngehöfte, selbst die elendsten Katen noch - unbarmherzig niedergebrannt, am Ende sogar Moskau. Außerdem setzte der Regen ein und verwandelte jeden Weg und Steg in grundlosen Schlamm, so auch Napoleons Rückzugstraße nach Borodino und Smolensk.

Doch bald schlug das Wetter um. Ende Oktober fror es Stein und Bein. Am 6. November fiel der erste Schnee. Das Land bedeckte sich mit einem "Leichentuch". Leo Tolstoj schrieb während der Vorstudien zu seinem großen Epos "Krieg und Frieden" an seine Frau Sophia: "Im nachhinein könnte man wahrhaftig glauben, Gott selber hätte alles getan, die Eindringlinge von der russischen Erde zu vertreiben. Denn nicht immer hatten wir einen so kalten Winter wie 1812." Auch Carl von Clausewitz, Kriegsteilnehmer auf russischer Seite, sprach in seinem Buch "Der russische Feldzug von 1812" von einem "ungewöhnlich strengen Winter". Die Metapher vom Schnee als Leichentuch feindlicher Armeen in Rußland begann umzugehen. Jedenfalls waren es in diesem Winter mehr noch als die Kugeln russischer Grenadiere und die Lanzen der Kosaken der Frost, der Schnee, der Hunger und die schier unmenschlichen Strapazen eines schnell zu regelloser Flucht ausartenden Rückzugs, die Napoleons Armee vernichten sollten.

"Die eine Armee floh, die andere verfolgte sie", heißt es in "Krieg und Frieden". Kosaken voraus, rechts und links, ganze Schwärme, plötzlich auftauchend, zustoßend und wieder verschwindend, und im Rücken die russischen Bataillone, denen man ebenfalls nicht entkommen konnte. Wer liegenblieb, wurde gefangengenommen oder, viel häufiger, einfach niedergemacht. Den zu Tode Erschöpften war endlich alles gleichgültig. Sie legten sich in den tiefen Schnee, schlossen die Augen, schliefen ein und starben. Aber auch den Russen wurde nichts geschenkt. Die Verfolgung war kein militärischer Spaziergang, sondern nicht minder ein Leidensweg.

Am 18. November teilte Napoleon seinem Außenminister in Paris, dem Herzog von Bassano, mit: "Seit dem letzten Brief ist unsere Lage ganz verdorben. Frost und schreckliche Kälte haben fast alle unsere Pferde getötet - über 30 000! Wir waren genötigt, 300 Geschütze und eine große Anzahl von Munitionswagen zu verbrennen. Viele Soldaten sind durch die Kälte liegengeblieben." Und aus "Szanivki am rechten Ufer der Beresina" schrieb der Kaiser am 29. November, zwei Tage nach dem mörderischen Übergang über die von Eisschollen bedeckte Beresina, den "niemand je vergessen wird, der davonkam", erneut an den Außenminister: "Bald werden wir in Wilna sein. Aber werden wir uns halten können? Verpflegung, Verpflegung, Verpflegung! Es wäre mir lieb, wenn sich in Wilna kein ausländischer Gesandter befände. Denn die Armee ist weiß Gott nicht in dem Zustand, daß man sie vorzeigen könnte."

In Wahrheit hatte die Grande Armee als kriegsverwendungsfähiger Truppenverband schon aufgehört zu bestehen. Von zahlreichen Regimentern gab es keinen einzigen Überlebenden mehr, von Divisionen schleppten sich häufig bloß noch ein paar Handvoll zerlumpter, kranker, verwundeter, halbverhungerter und halberfrorener Elendsgestalten nach Westen, und von Armeekorps gab es, wenn es hoch kam, lediglich ein paar hundert Mann, die noch ein Gewehr zu tragen vermochten. Ende Dezember endlich erreichte, was sich noch dahinschleppen konnte, bei 30 Grad Kälte die russische Grenze am Njemen - Bilder des Jammers, ein "Lemurenzug".

Bereits am 5. Dezember hatte der Kaiser die Trümmer seines Heeres im Stich gelassen. "Ihr höchster Befehlshaber hüllte sich in seinen Pelz, setzte sich in seinen Schlitten, verließ seine Kameraden und eilte davon", liest man in "Krieg und Frieden". Am späten Abend des 18. Dezember oder in der Nacht, jedenfalls bei völliger Dunkelheit und "heimlich wie ein Dieb", traf Napoleon wohlbehalten in Paris ein. Wenige Tage darauf schrieb ihm aus Polen Marschall Berthier: "Sire, die Armee gibt es nicht mehr, alles ist verloren." Im Hofbulletin dagegen hieß es: "Seine Majestät der Kaiser befinden sich bei bester Gesundheit." In Paris herrschte in den Vorweihnachtstagen von 1812, anders als im fernen Rußland, mildes Wetter. In den Gärten der Tuilerien blühten die letzten Rosen.

Ein ungeliebtes Zweckbündnis

Verglichen mit dem Gros der Grande Armee kamen das österreichische Hilfskorps an seiner Südflanke und das preußische an der Nordflanke wesentlich glimpflicher davon. Beide operierten seitab und fern des Hauptgeschehens. Ohne nennenswerte Gefechtstätigkeit zu entfalten, lag das preußische Korps, das der Armeegruppe Macdonald unterstellt war und von Generalmajor Hans David Ludwig Yorck befehligt wurde, seit Mitte August vor der russischen Festung Riga, während die Armeegruppe Macdonald selbst in Kurland war und sich das Hauptquartier in dem knapp fünfzig Kilometer südwestlich von Riga entfernten Mitau befand. Die Untätigkeit der Preußen war verständlich. Schließlich war es nicht der Wille ihres Königs gewesen, der das Hilfskorps nach Rußland, bis Riga und an die untere Düna geführt hatte, sondern das ungeliebte Zweckbündnis, das Napoleon dem 1806 bei Jena und Auerstedt vernichtend geschlagenen Königreich Preußen aufgezwungen hatte. In frischer Erinnerung war überdies noch die preußisch-russische Waffenbrüderschaft des Winters 1806/07, zudem besaßen die preußischen Offiziere drüben auf russischer Seite so manchen Kameraden, mit denen sie oft noch vor kaum mehr als einigen Monaten im gleichen Regiment gedient hatten, bis diese dann, um nicht unter Napoleon kämpfen zu müssen, vor Beginn des Rußlandfeldzugs das preußische Heer verlassen hatten und in das russische eingetreten waren - wie etwa der nunmehr russische Oberstleutnant Carl von CIausewitz. Doch auch dies kam vor: Clausewitz beispielsweise, seit Anfang des Jahres 1812 in der Armee des Zaren, hatte zwei Brüder, die beide als Offiziere im preußischen Hilfskorps dienten - der eine als Hauptmann, der andere als Major.

Den Preußen gegenüber stand in und hinter Riga eine Division unter dem Kommando des Generalmajors von Essen. Sie gehörte zum knapp dreißigtausend Mann starken Armeekorps des Generals Fürst Sayn-Wittgenstein, der ein wenig weiter östlich, an der mittleren Düna, "seinen eigenen Krieg führte", wie es später Clausewitz ausdrückte. Dort focht er im Verlauf des Feldzugs wiederholt und durchaus erfolgreich gegen die zahlenmäßig überlegenen Korps der Marschälle Oudinot, Victor und St. Cyr, band auf diese Weise starke feindliche Kräfte, so auch die Armeegruppe Macdonald mitsamt ihren Preußen, und hielt sie von der eigentlichen Offensive Napoleons gegen Moskau fern. Außerdem deckte er St. Petersburg.

Die Protagonisten von Tauroggen

Sayn-Wittgensteins Generalquartiermeister jedoch war der Generalmajor Hans - russisch: Iwan Iwanowitsch - von Diebitsch, ein gebürtiger Schlesier, der in der königlich-preußischen Kadettenanstalt in Berlin erzogen worden war, und Generalstabsoffizier bei Diebitsch schließlich war Carl von Clausewitz, der nachmalige große Militärtheoretiker und Verfasser des noch heute nicht überholten Standardwerks "Vom Kriege".

Mit Yorck, Diebitsch und Clausewitz aber hat man die Protagonisten der Konvention von Tauroggen beisammen: dieses mutigen Unternehmens von ungeheurer politischer und militärischer Tragweite sowohl für die allernächste Zukunft als auch für die folgenden sieben oder acht Jahrzehnte und das nicht allein für Preußen und Rußland, sondern für ganz Europa. Friedrich von Schubert, russischer General der Infanterie, Chef des Militärtopographischen Dienstes und Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften, der den Feldzug von 1812 als junger Ordonnanzoffizier mitgemacht hatte, nannte die Konvention von Tauroggen "das erste Beispiel in der Geschichte, daß ein kommandierender General den Befehlen seines Souverains entgegen ein Abkommen mit dem Feinde schließt, seine selbständige Politik betreibt und seinen Monarchen zwingt, dieser Politik zu folgen . . . - ein für Staaten höchst gefährliches, mit nichts zu entschuldigendes Beispiel, dem man keinen anderen Namen geben kann als den des Hochverrats."

Im gleichen Atemzug aber fuhr Schubert fort: "Trotz dem, was mir mein Verstand und meine Vernunft sagten, welche die Tat Yorcks für ein Verbrechen erklärten, konnte ich mich nicht enthalten, sie dennoch schön zu finden und sie ihm zu verzeihen." Carl von Clausewitz äußerte sich über die Person des Generalmajors von Yorck aus eigener langer Bekanntschaft folgendermaßen: "Der General war ein Mann von einigen 50 Jahren, ausgezeichnet durch Bravour und kriegerische Tüchtigkeit. Er hatte in seiner Jugend in den holländischen Kolonien gedient, sich also in der Welt umgesehen und den Blick des Geistes erweitert. Ein heftiger, leidenschaftlicher Wille, den er aber in anscheinender Kälte, ein gewaltiger Ehrgeiz, den er in beständiger Resignation bewirkt, und ein starker, kühner Charakter zeichnen diesen Mann aus. General Yorck ist ein rechtschaffener Mann, aber er ist finster, gallsüchtig und versteckt, und darum ist er ein schlimmer Untergebener. Persönliche Anhänglichkeit ist ihm ziemlich fremd, was er tut, tut er seines Rufes willen und weil er von Natur tüchtig ist. Das Schlimmste ist, daß er bei einer Maske von Derbheit und Geradheit im Grunde sehr versteckt ist . . . Er war unbedenklich einer der ausgezeichnetsten Männer unserer Armee. Scharnhorst, welcher seine hohe Brauchbarkeit in einer Zeit, wo sich wenige brauchbar gezeigt hatten, um so wichtiger hielt, als sich damit eine große Abneigung gegen die Franzosen verband, hat sich mit ihm immer auf einem freundschaftlichen Fuß zu halten gesucht, obgleich in Yorck immer ein unterdrücktes Gift gegen ihn kochte. Von Zeit zu Zeit schien es losbrechen zu wollen. Scharnhorst aber tat, als bemerkte er es nicht, und schob ihn überall hin, wo ein Mann seiner Art nützlich werden konnte."

Hans David Ludwig Yorck wurde am 26. September 1759 in Potsdam geboren. Nach der preußischen Niederlage 1806 bei Jena und Auerstedt erwarb dieser stockkonservative Preuße sich unter Scharnhorst und Gneisenau - obwohl er keineswegs zu den Heeresreformern zählte und er beispielsweise den Gedanken an eine allgemeine Volksbewaffnung, zu der es dann 1813 kommen sollte, erbittert ablehnte - große Verdienste bei der Reorganisation des preußischen Heeres. Im Freiheitskrieg von 1813 kämpfte er unter Blücher erfolgreich an der Katzbach, ermöglichte durch ein Gefecht bei Wartenburg in der Nähe von Merseburg Marschall Blüchers Übergang über die Eibe und war in der Sylvesternacht von 1813 maßgeblich am Rheinübergang von Kaub beteiligt. Nach dem Krieg wurde er zum General der Infanterie befördert, erhielt das Generalkommando in Schlesien und wurde unter Beilegung des Namens "von Wartenburg" in den Grafenstand erhoben. 1821 zum Feldmarschall ernannt, starb Ludwig Graf Yorck von Wartenburg am 4. Oktober 1830 auf seinem Gut Klein-Oels bei Breslau.

Als fähigen Truppenführer und tapferen Soldaten, aber ebenso als schroffen und schwierigen Charakter haben nicht wenige Zeitgenossen Yorck geschildert. Ein freundlicheres Charakterbild hingegen entwarf Clausewitz von dem russischen Generalmajor von Diebitsch: "Von Geburt Preuße, war Diebitsch schon als junger Mensch von dem preußischen Kadettenhause in den russischen Dienst gekommen und durch die Karriere bei der Garde und im Generalstab schnell bis zum Obersten gestiegen, so daß er im Laufe des Feldzugs von 1812 schon in seinem 27. Jahre General wurde. . . Er war von Jugend auf fleißig gewesen und hatte für sein Fach gute Kenntnisse erworben. Feurig, brav und unternehmend, von raschem Entschluß, großer Festigkeit, etwas dreist und herrisch, die anderen mit sich fortreißend, dabei sehr ehrgeizig - so war der General Diebitsch . . ." Außerdem rühmte Clausewitz Diebitschs "edles Herz" und nennt ihn "offen und redlich, ohne die Spur der Intrige".

Geboren wurde Hans Carl Friedrich von Diebitsch am 13. Mai 1785 als Sohn des späteren russischen Generalmajors Hans Carl Ehrenfried von Diebitsch und seiner Ehefrau Marie Antoinette von Erkert in Großleipe in Schlesien. Erzogen wurde er, wie schon erwähnt, in der preußischen Kadettenanstalt in Berlin bis zu seinem 16. Lebensjahr. 1801 verließ er die Anstalt und trat als Fähnrich in das russische Garderegiment Samonowsky ein. 1805, inzwischen Leutnant, zog er mit dem Regiment ins Feld und kämpfte gegen die Franzosen in der Schlacht von Austerlitz, in der er verwundet wurde. Als nach der preußischen Unglücksschlacht von Jena und Auerstedt die Russen den Preußen im Spätherbst zu Hilfe kommen, ist auch Diebitschs Regiment wieder dabei und kämpft bei Guttstadt, Heilsberg und Friedland, wo er sich als Hauptmann durch besondere Tapferkeit auszeichnete und den russischen Georgs- und den Wladimirorden sowie den preußischen Orden Pour le mérite erhielt. Das Jahr 1810 sah den erst Fünfundzwanzigjährigen bereits als Oberstleutnant.

Im September 1811 wurde er Oberst und bei Ausbruch des napoleonischen Rußlandfeldzugs zum Generalmajor und Quartiermeister im Stab Sayn-Wittgensteins ernannt. Im Oktober 1812 übernahm er die Vorhut des Sayn-Wittgensteinschen Armeekorps, einer aus Kavallerie- und Kosakeneinheiten bestehenden Truppe von nur vierzehnhundert Mann, mit der er später die Rückzugsbewegungen der Armeegruppe Macdonald beobachtete. Im weiteren Verlauf des Krieges gegen Napoleon zog er an der Seite des Feldmarschalls Sayn-Wittgenstein in Berlin ein, nahm an der Schlacht von Möckern teil und verdiente sich auf dem Schlachtfeld von Leipzig die Beförderung zum Generalleutnant. Zweimal zog er mit den russischen Truppen in Paris ein; 1814 und nach Napoleons Rückkehr von Elba nochmals 1815. Nach dem Krieg wurde er Chef des Generalstabes der 1. Armee in Mohilew am Dnjepr, begleitete jedoch Zar Alexander I. auf zahlreichen Reisen im In- und Ausland. Als der Zar 1825 in Taganrog starb, ernannte ihn sein Nachfolger, Zar Nikolaus, bei seiner Krönung in Moskau zum General der Infanterie. 1825 wurde Hans von Diebitsch in den Grafenstand erhoben.

In der Folgezeit kämpfte er in dem 1828 ausgebrochenen russisch-türkischen Krieg als Oberbefehlshaber der 1. Armee auf dem Balkan, schlug die Türken bei Silistria und nahm Silistria und kurz darauf Adrianopel ein. Am 22. September 1828 wurde er zum Feldmarschall ernannt. Seinem Namen durfte er bald den Ehrennamen "Sabalkansky" - Überwinder des Balkans - beifügen, so daß er sich nun Graf von Diebitsch-Sabalkansky nennen konnte. 1831 kämpfte er gegen die polnischen Aufständischen bei Ostrolenka, erkrankte jedoch an der Cholera und starb in Kleczewo am 28. Mai 1831. Seine Leiche wurde zu Schiff nach St. Petersburg gebracht und dort auf dem Wolkowo-Friedhof beigesetzt. Bis 1917 gab es in der russischen Armee ein Infanterieregiment, das zu seinem Andenken "Regiment Graf Diebitsch-Sabalkansky" hieß. Verheiratet war Iwan Iwanowitsch von Diebitsch mit einer Baronesse von Tornan, einer Nichte des russischen Feldmarschalls Barclay de Tolly.

Und nun der dritte Protagonist der Konvention von Tauroggen, die als Schlußpunkt des mißglückten napoleonischen Rußlandfeldzugs eine neue, nachnapoleonische Zeit einläutete und das Gesicht und den politischen Kurs Europas in den folgenden Jahrzehnten bestimmte. Von Carl von Clausewitz ist die Rede.

Er stammte aus einer Familie, die in Sachsen, im benachbarten Thüringen und vermutlich auch in Schlesien beheimatet war und vorwiegend Pastoren und Theologieprofessoren hervorgebracht hatte. Erst sein Vater wurde Offizier, und zwar im Heer Friedrichs des Großen; zu einem bedeutenden Rang brachte er es indessen nicht, lediglich zum Hauptmann, schied jedoch bereits am Ende des Siebenjährigen Krieges aus gesundheitlichen Gründen aus und erhielt eine Stelle als Steuer-Einnehmer in Burg bei Magdeburg. Seine Söhne schickte er in die preußische Armee. Der am 1. Juni 1780 geborene Carl beispielsweise war schon 1793 mit erst 13 Jahren als Fahnenjunker bei der Belagerung von Mainz dabei. Mit 15 wurde er Leutnant; später sollte er sagen: "Ich bin in der preußischen Armee aufgewachsen." In den elf Friedensjahren bis 1806, die dem 1795 mit dem Basler Frieden endenden Koalitionskrieg gegen das revolutionäre Frankreich folgten, stieg Carl von Clausewitz bis zum Stabskapitän auf. Anfänglich lag er in Neuruppin in Garnison, bald jedoch wurde er zur Allgemeinen Kriegsschule - der preußischen Militärakademie - in Berlin versetzt, wo er Lieblingsschüler des Heeresreformers Scharnhorst und bald darauf Adjutant des Prinzen August von Preußen wurde. In dieser Zeit lernte er die Hofdame Marie Gräfin Brühl kennen, seine zukünftige Frau. "Es wird eine vorbildliche Ehe", schreibt Wilhelm Ritter von Schramm, "freilich kinderlos, aber mit einer solchen Teilnahme der Gattin an den Arbeiten des Kriegsphilosophen, daß Marie von Clausewitz in der Lage ist, später das Werk 'Vom Kriege' herauszugeben - gewiß ein einzigartiger Fall in der Militärgeschichte ."

1806 geriet Clausewitz gemeinsam mit dem Prinzen August von Preußen in französische Kriegsgefangenschaft. Auf der Heimreise von Frankreich im folgenden Jahr begleitete er den Prinzen auf dessen Umweg über Schloß Coppet am Genfer See, wo beide Gäste Madame de Staels waren, die gerade an "De l' Allemagne" arbeitete und Prinz August sich unglücklich in einen anderen Gast verliebte, in die schöne Julie Recamier. 1809 wurde Clausewitz Major im Generalstab und unter Beibehaltung seiner Stellung als Bürochef Scharnhorsts - des damaligen Generalstabschefs und Inspekteurs des Festungswesens - Lehrer an der Kriegsakademie. Nach dem Abschluß des Zwangsbündnisses Preußens mit Napoleon jedoch verließ Clausewitz die preußische Armee und begab sich "mit einigen Empfehlungsschreiben versehen nach Wilna, wo sich das Hauptquartier des Kaisers Alexander befand". Als Oberstleutnant mit einem Jahressold von 1900 Talern trat er in die russische Armee ein, wo er dem Generalmajor von Diebitsch attachiert wurde. Im Jahre 1815 trat er als Oberst wieder unter preußische Fahnen und wurde nach dem Krieg Chef des Generalstabs des III. Korps in Koblenz. Bald darauf berief man ihn, inzwischen Generalmajor, als Direktor an die Berliner Kriegsakademie. "In den folgenden Jahren konnte", so wieder Ritter von Schramm, "das Werk heranreifen, das den Krieg politisch fixiert und mit dem Licht der philosophischen Vernunft und der Menschenkenntnis tief in sein Wesen hineinleuchtet. Viele Teile davon sind im stillen Wohnzimmer der Frau von Clausewitz geschrieben. So war sie dann auch in der Lage . . ., das freilich noch unvollendete Werk der Öffentlichkeit zu übergeben."

Im Jahr 1830 wurde Clausewitz aus Berlin abkommandiert und zur 2. Artillerieinspektion nach Breslau versetzt, doch nur für kurze Zeit, denn noch im gleichen Jahr holte sich ihn nach Ausbruch des polnischen Aufstandes Feldmarschall Graf Gneisenau als Chef des Stabes zu der von ihm kommandierten Observationsarmee an der preußisch-russischen Grenze. Aber als am 23. August 1831 Feldmarschall Gneisenau in Posen an der Cholera starb, kein Vierteljahr nach dem jenseits der Grenze Feldmarschall Diebitsch der Cholera erlegen war, kehrte Clausewitz am 7. November nach Breslau zurück, wo er freilich schon am 16. November starb - ebenfalls an der Cholera.

Psychologische Kriegführung

Während des napoleonischen Rußlandfeldzugs hatte es russischerseits schon frühzeitig Versuche gegeben, "die Deutschen", womit in Erinnerung an die antinapoleonische Waffenbrüderschaft von 1806/07 vornehmlich die Preußen gemeint waren, dem Kaiser der Franzosen abspenstig zu machen. Ganz im Stil moderner psychologischer Kriegführung wandte sich Marschall Barclay de Tolly bereits am 4. Juli 1812, nur zehn Tage nach Feldzugsbeginn, mit folgendem Aufruf an sie:

"Deutsche! Vergessen auch viele aus euren oberen Ständen ihre Pflichten gegen ihr Vaterland, so ist doch die Mehrheit eures Volkes bieder, tapfer und des Druckes der Tyrannei überdrüssig. Seid Gott und dem Vaterlande treu, folgt dem Ruf des Vaterlandes und der Ehre, genießt die Belohnung eures Mutes und eurer Aufopferung und schüttelt die Fesseln des korsischen Tyrannen ab - oder beugt euch auch fürderhin unter das Joch der Unterdrückung, das auf euch lastet. Dann aber werdet ihr untergehen in Schande, Elend und Erniedrigung, und der Spott der Menschheit und der Fluch eurer Nachkommen wird auf euch ruhen!"

Auch in den folgenden Wochen und Monaten ließ es die russische Führung nicht an Aufforderungen an Yorck fehlen, "von der französischen Sache abzufallen". Diese Aufforderungen liefen auf ein Neutralitätsabkommen hinaus, stießen freilich bei Yorck einstweilen noch auf taube Ohren, zumal sich wie die gesamte Armeegruppe Macdonald auch das preußische Hilfskorps in hervorragendem Zustand befand, nur vergleichsweise geringe Ausfälle zu beklagen hatte und selbst noch im Dezember 1812 knapp 18000 Mann zählte - eine Verlustquote von nur ungefähr zehn Prozent. Erst als im Mitauer Hauptquartier die Kunde vom Brand Moskaus und der Flucht der Grande Armee sich zuerst nur als Gerücht, bald jedoch als verbürgte Nachricht verbreitete, und vollends als am 10. Dezember die unbezweifelbare Kunde von der Flucht Napoleons und dem Untergang seiner Armee eintraf, sah Yorck, wie dringend nun die Notwendigkeit war, zu handeln und seine Preußen vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren. Doch bereits am 26. November hatte Yorck auf ein neuerliches russisches Neutralitätsangebot hin an Sayn-Wittgenstein geschrieben, er sei von Kind an Soldat gewesen und mit den "Verschlingungen der Politik" unvertraut. Weiter schrieb er, daß "bei so großen Veränderungen die Schritte der Armee mit der inneren Politik in Übereinstimmung gebracht werden müssen". Im Klartext: Yorck wünschte zuerst zu ergründen, wie sein König über ein Neutralitätsabkommen des preußischen Korps mit den Russen denke. Deshalb schickte er seinen Adjutanten, einen Major von Seydlitz, nach Berlin, der jedoch mit leeren Händen zurückkehrte. Denn weder vom König noch aus seiner engsten Umgebung war eine Stellungnahme zu erhalten gewesen. Friedrich Wilhelm III. zögerte wie immer, wenn klare Entscheidungen nötig waren. Das hinderte ihn freilich andererseits nicht, Yorck bis an sein Lebensende die "Eigenmächtigkeit von Tauroggen" persönlich nachzutragen. Yorck dagegen ertrug das mit einem Achselzucken.

Auf dem Weg nach Tauroggen

Dann aber brach am 19. Dezember Macdonald mit seinen Franzosen in zwei Kolonnen zum Rückzug auf und räumte Kurland. Yorck folgte am nächsten Tag mit seinen Preußen und blieb auch in der Folgezeit ein bis zwei Tagesmärsche hinter Macdonald zurück. Sogleich aber hatte sich General von Diebitsch mit der Vorhut der Sayn-Wittgensteinschen Armee an Yorcks Fersen geheftet. Diese lediglich 1400 Mann starke und von Diebitsch persönlich geführte Truppe - mehr Beobachtungsabteilung als Vorhut - bestand aus Teilen des Regiments Grodno-Husaren, drei Kosaken-Sotnien, einer kaum noch Schwadronsstärke besitzenden Abteilung reitender Jäger sowie einer reitenden Batterie von sechs Geschützen.

Der Rückzug ging in südwestlicher Richtung über Mitau, Schaulen, Koltinjani und Stulgi zum Njemen und zur preußischen Grenze - es war nahezu derselbe Weg wie auf dem Vormarsch im Sommer. Carl von Clausewitz, der sich an der Seite Diebitschs befand, schrieb in seinem schon erwähnten Buch über den russischen Feldzug von 1812: "Der Marsch war ziemlich schnell, denn die beiden ersten Kolonnen, welche den 19. Dezember aufgebrochen waren, erreichten Piktupöhnen (an der russisch-polnischen Grenze), welches 30 Meilen von Mitau ist, in acht Tagen. Unter diesen Umständen kam General Yorck, der erst den 20. abends von Mitau abmarschierte und ein großes Fuhrwesen mit sich führte, zwei Tagesmärsche von Marschall Macdonald ab. Er erreichte nämlich erst den 25. abends die Gegend von Koltinjani, an diesem Tag aber war der Marschall schon sechs Meilen davon . . ."

Am 24. Dezember schickte Diebitsch einen Parlamentär zu Yorck, und am Abend des 25. - dem Weihnachtstag - kam es zur ersten Begegnung der beiden Generale. Sie fand sechs Meilen von Koltinjani auf der Straße nach Tilsit "zwischen den Vorposten" statt. In einer unveröffentlichten handschriftlichen Aufzeichnung im Diebitschschen Familienarchiv heißt es in weitgehender Übereinstimmung mit dem erwähnten Buch von Clausewitz über diese Begegnung:

"Am Weihnachtstage spät abends trafen Yorck und Diebitsch zum ersten Mal zwischen den Vorposten zusammen. Diebitsch hatte seine Truppen so verdeckt als möglich aufgestellt, aber er war edel genug zu sagen, was er an Truppen habe und nicht habe; er erklärte Yorck, daß er nicht daran denken könne, den Weg wirklich zu sperren, daß er allerdings alles Mögliche tun werde, ihm seinen Train, seine Artilleriefahrzeuge und vielleicht einen großen Teil seiner Artillerie abzunehmen. Es war natürlich, daß diese Bemerkungen nicht entscheidend sein konnten. Der Hauptgegenstand der Unterredung war vielmehr die gänzliche Vernichtung der Grande Armee, und daß die russischen Generale angewiesen seien, bei vorkommenden Fällen die Preußen nicht wie eigentliche Feinde zu behandeln, sondern in Rücksicht auf die früheren freundschaftlichen Beziehungen beider Mächte und die Wahrscheinlichkeit, daß dieselben nun bald erneuert werden würden, mit ihnen jedes freundschaftliche Abkommen zu treffen, welches dieselben wünschen könnten. Diebitsch erklärte demgemäß, daß er bereit sei, mit General Yorck einen Neutralitätsvertrag einzugehen und zu dem Behufe die militärischen Vorteile, welche er über ihn habe, aufzugeben."

Yorck machte sich seine Entscheidung nicht leicht. Das preußische Hilfskorps aus dem Untergang der Grande Armee, der sich bereits vollzogen hatte, herauszuhalten und durch eine Übereinkunft mit dem russischen Gegner Möglichkeiten für einen künftigen politischen Frontwechsel vorzubereiten, war die eine Sache - die andere hingegen war: Ohne Zustimmung des Königs im Krieg ein Abkommen mit dem Feind zu schließen, eine selbständige Politik zu betreiben, den König vor vollendete Tatsachen zu stellen und ihn zu zwingen, dieser Politik zu folgen . . . Vermutlich war es Clausewitz, der in mehreren Unterredungen Yorck eine andere Betrachtungsweise darlegte: Es gehe nicht um ein Waffenbündnis mit den Russen auf eigene Faust, was einer Meuterei gleichgekommen wäre, es gehe vielmehr allein um die Neutralität der preußischen Truppen, und im übrigen läge alles Spätere im Ermessen des Königs von Preußen und des Zaren von Rußland.

In diesem Sinne wurde endlich auch der Text der Konvention abgefaßt, und in diesem Sinne schrieb Yorck nach Abschluß der Konvention auch an seinen König, wobei er betont, daß er nach Lage der Dinge gezwungen gewesen sei, "mit dem General-Major von Diebitsch im Dienste S. M. des Kaisers Alexander die Convention abzuschließen, die ich anliegend Ew. M. zu Füßen zu legen die Ehre habe. In der vollen Überzeugung, daß ich bei dem Fortmarschieren die Existenz des Armee-Corps aufs Spiel gesetzt und den Verlust seiner Artillerie und seines Gepäcks herbeigeführt hätte, wie die Erfahrung es bei der Großen Armee gezeigt hat, glaubte ich als treuer Untertan E. M. nur Ihren Vorteil zu Rate ziehen zu dürfen ohne Rücksicht auf den Ihres Alliierten . . . Ew. Maj. lege ich willig meinen Kopf zu Füßen, wenn Sie mein Handeln tadelnswert finden sollten. Ich werde dennoch in dem letzten Augenblick die süße Gewißheit haben zu denken, daß ich als treuer Untertan sterbe, als wahrer Preuße, als ein Mann endlich, der nur das Beste des Vaterlandes wollte."

Dem Marschall Macdonald jedoch teilte er ebenfalls nach Abschluß der Konvention mit: "Die preußischen Truppen werden ein neutrales Corps bilden und sich keine Feindseligkeiten gegen eine der beiden Parteien erlauben. Die kommenden Ereignisse, welche durch die Unterhandlungen zwischen den kriegführenden Mächten herbeigeführt werden dürften, werden ihr ferneres Schicksal bestimmen."

In den folgenden Tagen nach dem ersten Zusammentreffen zwischen Yorck und Diebitsch am Weihnachtsabend auf der Heerstraße nach Tilsit hatte es zwischen den russisch-preußischen Linien, falls man überhaupt von "Linien" sprechen kann, denn der Marsch ging ja weiter, ein reges Hinundher gegeben. Carl von Clausewitz, der als Preuße Yorcks besonderes Vertrauen genoß, führte die meisten Verhandlungen, er entwarf auch den Text der Konvention, der freilich verschiedentlich geändert, umgeschrieben und präzisiert wurde, weil Yorck immer wieder neue Einwände vorbrachte. Endlich, am 29. Dezember, reichte er nach einem erneuten langen Gespräch mit Clausewitz diesem die Hand und sagte: "Ihr habt mich. Sagt dem General Diebitsch, daß wir uns morgen früh auf der Mühle von Poscherun sprechen wollen, und daß ich jetzt bereit bin, mich von den Franzosen und ihrer Sache zu trennen." Clausewitz eilte daraufhin "ganz beglückt" zu Diebitsch nach Wilkischken zurück.

Die Konvention von Tauroggen

Der nächste Tag war ein Mittwoch, 30. Dezember 1812. Das Treffen sollte morgens um acht Uhr stattfinden. Clausewitz führt in seinem Buch nur an, daß Yorck in der Poscheruner Mühle mit seinem Chef des Stabes Oberst von Roeder und seinem Adjutanten Major von Seydlitz erschien, während Diebitsch von Clausewitz und dem ebenfalls aus Preußen stammenden Ordonnanzoffizier Graf Friedrich von Dohna begleitet wurde, "so daß sich bei dieser Verhandlung lauter geborene Preußen befanden". Den Verlauf der historischen Zusammenkunft dagegen schildert er nicht. Das geschieht jedoch in den Diebitschschen Familienpapieren: "Am Morgen war Diebitsch von Clausewitz und Dohna begleitet wie verabredet in der Poscheruner Mühle, Yorck nicht . . . Mehr als eine Stunde hatte man gewartet, da endlich kam Yorck, von Roeder und Seydlitz begleitet, sehr gemessen und kalt. In gespannter Stimmung verhandelte man die Artikel, die Seydlitz niederschrieb, nicht ohne scharfe Differenzen bei einzelnen Punkten . . . Doch endlich war die Konvention fertig, ins Reine geschrieben und unterzeichnet. Eine Umarmung der Generale schloß die Szene."

Von Malern ist diese Szene häufig wiedergegeben worden: Vor einem groben Tisch stehen die beiden Generale und reichen sich fest die Hand. Im Hintergrund sieht man Mahlwerke und Mühlengebälk, während auf dem Tisch eine Schreibfeder und ein Schriftstück liegen - der Vertrag, der zwar in der Poscheruner Mühle geschlossen wurde, aber als Konvention von Tauroggen in die Geschichte einging. Poscherun war ein winziges Nest in einer ebenen Landschaft mit Birken und Kopfweiden, nahe dem Njemen, wogegen einen Katzensprung weiter im Nordosten Tauroggen lag, ein litauisches Landstädtchen mit dazumal knapp zweitausend Einwohnern.

Die Konvention von Tauroggen besteht aus nur sieben kurzen Artikeln und liest sich eher wie ein Freundschaftsvertrag als ein Abkommen zwischen zwei kriegführenden Parteien. Ein günstigerer Vertrag ist von einer stärkeren einer schwächeren Seite nur selten zugebilligt worden. Die wichtigsten sind die Artikel I und II.

Der Artikel I, nach dem sich die Preußen unbehelligt auf ostpreußisches Gebiet zurückziehen konnten, lautet: "Das preußische Korps besetzt den Landstrich innerhalb des königlichen Territoriums längs der Grenze von Memel und Nimmersatt bis zu dem Weg von Woinuta nach Tilsit; von Tilsit macht ferner die Straße über Schillupischken und Melauken nach Labiau, die Städte dieser Straße eingeschlossen, die Grenze desjenigen Territoriums, welches dem Korps hierdurch eingeräumt (wird). Das Kurische Haff schließt an der anderen Seite dieses Territorium, welches während der preußischen Besetzung als völlig neutral erklärt und betrachtet wird . . ."

Der Artikel II besagt: "In diesem in vorstehendem Artikel bezeichneten Landstrich bleibt das preußische Korps bis zu den eingehenden Befehlen Sr. Majestät des Königs von Preußen neutral stehen, verpflichtet sich aber, wenn Se. Majestät den Zurückmarsch des Korps zur französischen Armee befehlen sollten, während eines Zeitraums von zwei Monaten, vom heutigen Tage an gerechnet, nicht gegen die kaiserlich-russische Armee zu dienen."

Diesen Befehl erteilte der König freilich nie. Die Geschichte nahm ihren Lauf, wie Yorck und Diebitsch es erhofft hatten: 1813 brach der Freiheitskrieg aus und preußische, russische und österreichische Heere beendeten die napoleonische Herrschaft. Die Konvention von Tauroggen aber leitete eine lange Phase preußisch-russischer Freundschaft ein, die erst 1890 mit der Kündigung des von Bismarck geschlossenen Rückversicherungsvertrags endete. In den Jahrzehnten zuvor war Preußen-Deutschland zur europäischen Großmacht aufgestiegen, doch hätte es ohne das wohlwollend neutrale Rußland im Rücken weder die siegreichen Kriege von 1864 und 1866 und schon gar nicht den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 führen können, an dessen Ende die Gründung des Deutschen Reiches stand.

Der Abstieg begann sodann mit der Aufkündigung jenes Rückversicherungsvertrages im Jahr 1890. Den Weg bergab markierten schon bald der Erste und der Zweite Weltkrieg, in denen Rußland beziehungsweise die Sowjetunion zu Deutschlands Gegnern zählte. Am Ende stand die Teilung des Deutschen Reiches in zwei Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung. Zwar hatte man nach 1945 sowjetischerseits aus freilich höchst durchsichtigen Motiven versucht, durch Beschwörung des "Geistes von Tauroggen" die alte deutsch-russische Freundschaft wiederzubeleben, aber die Zeit, die gesellschaftlichen Verhältnisse und die politischen Umstände waren ganz andere geworden. Der Geist von Tauroggen war erloschen. Geblieben ist dagegen das Beispiel, das Hans David Ludwig von Yorck allen Soldaten zu jeder Zeit gab - daß der Offizier Mut zu selbständigem Handeln zu zeigen hat, wenn eine entscheidende Stunde kommt. Ein solches Beispiel veraltet nie - im Zeitalter der weltvernichtenden Atomwaffen weniger denn je.

 Günther Elbin

LITERATURHINWEISE:
Droysen, J. G.: Das Leben des Feldmarschalls Graf Yorck von Wartenburg. 1913. 11. Aufl.
Elze, W.: Der Streit um Tauroggen. 1926. Schramm, W. von: Clausewitz. Leben und Werk. 1976.

Günther Elbin, Jahrgang 1924, hat sich durch seine Tätigkeit am Rundfunk und als Mitarbeiter mehrerer Zeitschriften einen Namen gemacht, wobei er vor allem historische und kunsthistorische Themen behandelt. Er veröffentlichte u. a. die Bücher "Literat und Feldmarschall" - Briefe und Erinnerungen des Fürsten Charles Joseph de Ligne, 1735-1814" (1979), "Am Niederrhein" (1979).

Quelle: DAMALS - Das Geschichtsmagazin

 

 
 

 

  

  

 

Hans Karl von Diebitsch

 

Johann David Graf Yorck von Wartenburg

 

 Konvention von Tauroggen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  

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